Filme aus dem November

Hopfen, Malz und Blei (Komödie/Western)

 

Das Wilde Bayern:

Das Musiker-Paar Done (Florian Blädel) und Jackie (Lea Liebhart) ist auf der Suche nach einem Engagement und steht plötzlich mitten im Geschehen. Auf einmal haben es zwei junge Indianer (Joel Akgün und Richard Ciuchendea), fünf Brauer und ihre Braumeisterin Babsi (Corinna Blädel) und der Revolverheld Anton (Mario Pruischütz) auf sie abgesehen.

 

 

 

 

Woher kommt wohl der Name "Bierzelt"? Neben zahlreichen Legenden und Mythen bekommt das Publikum der bayerischen Independent-Westernkomödie "Hopfen, Malz und Blei" eine völlig neue, und irgendwie auch reizvolle Herleitung geboten. Es war wohl einmal eine junge Braumeisterin in Bayern, die aufgrund des Genusses Ihres selbst hergestellten Gerstensaft in einem Indianerzelt plötzlich diesen Geistesblitz bekommen hat. Mit seiner unabhängigen Produktion lässt Regisseur Mark Lohr den wilden Westen einfach im bayerischen Voralpenland spielen, mitsamt Saloon wo es gleich mehrere Sorten Bier gibt.

Und anders als man es aus 1000 Westernfilmen kennt stehen dort Bierbänke und die Menschen tragen typisch bayerische Tracht wie etwa Lederhose und Dirndl.

 

Das passt optisch wie auch von den Charakteren her perfekt zusammen und lässt die Frage auftauchen warum es bisher noch keinen ernsthaften Versuch gab diese beiden Welten zusammen zu führen. Durchweg in Dialekt gesprochene Dialoge sind dann letztendlich der Ausdruck konsequenten Durchziehens einer zuvor gesteckten Linie. Hier zeigt sich was alles möglich ist wenn der Regisseur keinerlei Vorgaben bekommt und alles nach eigenen Vorstellungen umsetzen kann. Lohr ist zudem sichtlich daran interessiert mit vielen kleinen Details der Neuzeit zu arbeiten, die er authentisch und mit augenzwinkern auch einbaut. Da wäre zum Beispiel der geknebelte Radler-Trinker (in einigen Teilen Bayerns ist dies kultureller Frevel) oder die Parkgebühr für Lasttiere (Pferd/Esel), die am Handlungsort etwas günstiger ist wie im "großen" München.

 

Aber auch gesellschaftliche Aspekte finden ihren Weg in die Westernkomödie. Als bestes Beispiel ist hier sicherlich der Umgang mit Drogen zu nennen, die süchtig machen und alle Sinne vernebeln. Hier sind es die beiden jungen Indianerburschen, welche gerne am "Harz schnüffeln" um sich so zu berauschen. Eine wirklich nette und vorallem witzige Idee, mit der Lohr trotz Humor ein klein wenig den mahnenden Finger erhebt. Dass dann ausgerechnet diese beiden Figuren für die bildhafte Aufklärung herangezogen werden was einen richtigen Bierrausch ausmacht ist weder rassistisch noch dumm, sondern einfach intelligent und witzig. Allgemein besitzt der Independentfilm unzählige Momente mit Lachgarantie (sofern man der bayerischen Sprache mächtig ist) und nimmt sich nicht immer zu 100% Ernst.

 

Genau das braucht es um die Leichtigkeit, den Flow und das besondere Flair nicht zu verlieren. Der Bayer ist vom Wesen her einfach ein etwas spezieller Geselle, der aufgrund des Wortschatzes vieles anders meint wie es sich vielleicht anhört. Und da die Bayern ein Volk mit Gemütlichkeit und Stammtischen sind, dürfen diese elementaren Punkte keinesfalls fehlen und bekommen neben dem ausgiebigen Zeigen von Bier (Helles oder Weizen) eine wichtige Rolle zugeschrieben. Somit ist "Hopfen, Malz und Blei" vorallem eine Liebeserklärung an die bayerische Kultur, die in der ganzen Welt geschätzt wird.

Mit dieser sollte das (nicht bayerische) Publikum zuminderst im Groben vertraut sein um jeden Gag oder sämtliche Sidekicks zu verstehen von denen der Film einiges parat hält. Sicherlich bedient sich Lohr auch einiger Klischees und Denkmustern (bsp. wie die Rothäute über uns Bleichgesichter denken), tut dies aber auch hier mit der richtigen Portion Humor.

 

Unter dem Motto "Lederhose trifft auf Cowboy" darf man die Wahl der Kostüme sehen, die eine perfekte Symbiose der beiden völlig unterschiedlichen Stille darstellen. Natürlich dürfen bei den Indianern der üppige Federschmuck sowie die prägnante Bemalung der Gesichter nicht fehlen, weshalb es schon etwas skurill wirkt diesen Figurentyp in den tiefen Wäldern Bayerns anzutreffen und nicht wie gewöhnlich auf jenen weiten und kargen Landschaften des wilden Westens. Bis auf die neue Heimat übernimmt "Hopfen, Malz und Blei" so gut wie alle bekannten Verhaltensmuster und ist hier ebenfalls konsequent in seiner Außendarstellung. Zu den weiteren Figuren möchte ich an dieser Stelle nicht allzu viel verraten, da einerseits der Trailer schon ziemlich umfangreich informiert und man die genaue Figurenzeichnung im Kino erleben sollte.

 

Zudem stehen auch ingesamt zu viele Charaktere im Fokus als das dies in einer kurzen und aussagekräftigen Kritik Platz findet ohne den festgelegten Rahmen zu sprengen. Dafür möchte ich aber einige Sätze zum umfangreichen Cast verlieren, der durchweg aus Laiendarstellern besteht und in der Schlussphase durch Wolfgang Fierek einen prominenten Gast zu bieten hat, der wie ich finde eine gnadenlos perfekte Rolle bekommen hat. Diese spielt er trotz wenig Spielzeit sehr überzeugend und authentisch weshalb Fierek im Vergleich zu den restlichen Darstellern weder abfällt noch über Ihnen steht. Wirklich jeder, egal wie umfangreich seine Rolle angelegt ist, spielt mit vollem Herzblut und Hingabe womit alles mögliche rausgeholt wird. Sicherlich sieht man den Darstellern Ihre berufliche Herkunft (Ausbildung in lokalen Schauspielschulen) an, was aber keinesfalls negativ zu sehen ist, da das nicht Perfekt sein dem Ganzen seinen Charme verleiht und das Publikum somit viel näher an den Figuren ist. Mich hat jede Figur begeistert und ich hatte jederzeit das Gefühl authentisch gespielte Charaktere vor mir zu haben. An dieser Stelle nochmals ein Riesenlob an alle Beteiligten für diesen tollen Job.

 

Zum Schluss noch ein paar Worte zur eigentlichen Handlung und ein paar technische Punkte. Die gezeigte Story ist in sich durchweg schlüssig und besitzt zahlreihe Nebenstränge, die regelmäßig miteinander kollidieren womit auch die einzelnen Figuren aufeinander treffen. Zu Beginn wird man mitten ins Geschehen geworfen, welches danach (nachdem ein Art Moderator eingeblendet wird) umfangreich von Beginn an erzählt wird. Auch hier kommt die bekannte bayerische Gemütlichkeit zum Tragen und das Tempo variiert ganz gerne ohne dabei besonders anzuziehen. Kommt es deshalb zu Leerlaufphasen oder Langeweile? Keinesfalls. Es gibt immer was zu entdecken, und wenn es nur die wunderschöne Landschaft ist, die aus der Vogelperspektive gefilmt wird. Meistens handelt es sich um wackelfreie Bilder, wenngleich der ein oder andere Moment etwas zu hektisch im Kasten gelandet ist. Die Bildschärfe ist jedoch stets auf hohem Niveau, wie auch der Schnitt und einige Sondereffekte. Bei den Actionszenen bleibt man relativ lange in einem Take und versucht erst gar nicht mit vielen Cuts zu experimentieren.

 

Mit simplen aber in sich bestens funktionierenden Kullissen kann das Publikum auf jeden Fall zufrieden gestellt werden. Hier und da merkt man den sehr modernen Nutzen (Bergstollen), einmal sieht man bei einer Kamerafahrt ein Auto im Hintergrund, aber insgesamt machen Lohr und sein Team das Beste aus Ihren Mitteln und vermitteln einen glaubwürdigen Look. Musiktechnisch werden moderne Klänge mit typisch bayerischer Tonalität sowie klassischen Melodien aus Westernfilmen gemischt und ergeben einen herausragenden Musikmix in tollem Sounddesign sowie angenehmer Lautstärke. Sich wiederholende Tracks findet man ebenso wie interessante Experimente mit verschiedenen Genres.

 

 

Fazit: Bayerisches Independent-Kino vom Allerfeinsten: Der Wilde Westen trifft auf bayische Gemütlichkeit während Indianer die großen Wälder bevölkern und vom Bier Rauschzustände bekommen. Mit modernen Elementen versetzt ist "Hopfen, Malz und Blei" nicht nur eine Liebeserklärung an Bayern sondern auch der Beweis das eine Westernkomödie auch im Bierland Nummer 1 funktionieren kann.

 

Bewertung:

Genre: 9 von 10 Punkten

Gesamt: 10 von 10 Punkten

 

Große Freiheit (Drama/Romanze)

 

Hans Hoffmann (Franz Rogowski) ist schwul. Im Nachkriegsdeutschland ist Homosexualität allerdings immer noch strafbar. Dementsprechend oft muss Hans seine Zeit hinter Gittern verbringen. Das hält ihn jedoch nicht davon ab, an den ungewöhnlichsten Orten nach der Liebe zu suchen. Die einzige Konstante, die Hans in seinem Leben besitzt, ist sein Zellengenosse Viktor (Georg Friedrich) - ein verurteilter Mörder. Zwischen den beiden herrscht anfangs vor allem eine Sache: Abscheu. Doch es dauert nicht lange, bis sich etwas zwischen den beiden Mänern entwickelt, das man Liebe nennen könnte...

 

 

 

Der deutsche Genrefilm hat 2021 bisher mit herausragenden Filmen zu einem wahren Fest für Cineasten und Arthausgängern gemacht. Mit dem Ende November startenden "Große Freiheit", der eine deutsch-österreichische Ko-Produktion ist, kommt nun ein weiteres Highlight dazu.

Als Filmdrama mit romantischen Einschlägen erzählt Regisseur Sebastian Meise eine Geschichte über den schwulen Hans, der im Gefängnis seine große Liebe findet und dies erst nach 20 Jahren so richtig spührt.

Mit seinem durchweg ruhigen Erzählstil (sowie verhältnismäßig leisen Dialogen) taucht das Publikum in eine Zeit ein, in der Homosexualität per Gesetz strafbar war und mit mindestens 12 Monaten Knast bestraft wurde. Aufgeteilt in 3 Zeitabschnitte (1945, 1957 und 1968), durch die die Handlung immer wieder hin und her springt, spielt sich das Leben von Hans ausschließlich in einem westdeutschen Gefängnis ab. Und jedes mal sitzt er wegen des gleichen Delikts ein, jedes mal trifft er dort auf neue Männer welche er extrem anziehend findet.

 

Viktor ist aber immer da, schließlich sitzt dieser wegen Mordes ein. Wiedersehen macht Freude könnte man dies auch nennen wenn Hans mal wieder verurteilt wird und er auf den Österreicher trifft. Genau diese besondere Verbindung steht im Zentrum des Dramas, das nicht immer einer klaren Linie zu folgen scheint. Immer wieder springt das Geschehen von einem Jahr zum anderen und reißt damit sein Publikum aus dem Kontext. Gerade zum Ende hin wirken diese Sprünge wahllos und ergeben dadurch selten einen wirklichen Sinn. Zudem zieht sich das Geschehen im letzten Filmdrittel in meinen Augen zu sehr wodurch das Finale sehr langatmig und zäh daher kommt. Es bleibt aber zweifelsohne festzuhalten mit welch großem Mut der Regisseur an diese doch schwierige Thematik rangeht. Schießlich ist Homosexualität für viele Gesellschaftsteile noch heute ein Tabu-Thema und im Zusammenhang mit Gefängnisinsassen mitunter abstoßend oder pervers.

 

Doch Meise's Film ist weder ekelerregend noch obszön sondern schlichtweg neutral in seiner Beurteilung. Man will lediglich zeigen wie sehr Hans für seine Idiale steht und was Häftlinge mit entsprechender sexuellen Neigung im Knast ertragen mussten. Man wurde getreten, misshandelt, ausgegrenzt und von anderen Mitgefangenen dumm angemacht. Und Sex im Knast ist ja sowieso verboten. Die Lücken des Systems weiß der selbstbewusste Sträfling aber bestens auszunutzen und hat in jedem Kapitel seinen Lover. Das diese nicht nur Beiwerk sondern ebenfalls Teil der Botschaft von Meise's Botschaft sind erkennt man allein schon daran wie präsent Oscar und Leo in die Handlung eingebunden werden. Deren Schicksal/Vorgeschichte kommt nicht zu kurz, wie auch die Tatsache wie beide damit umgehen.

 

Ja. schwul zu sein war zur damaligen Zeit alles andere als einfach (und ist auch im Jahr 2021 noch nichts alltägliches), womit der Zuschauer quasi minütlich konfrontiert wird. Selbst die Wärter waren nicht neutral und haben entsprechend gehandelt. Dennoch beweist "Große Freiheit" mit seinem Stil wie stark und wichtig Liebe im Leben ist und das jeder dafür bereit ist einiges zu ertragen. Im Grunde sollte der Zuschauer hierbei keinen besonders spannenden oder gar rasanten Film erwarten, aber sich darauf freuen ein emotionales sowie berührendes Werk zu sehen, wo mitfühlen wirklich einfach ist. Dabei ist die Kamera durchweg hautnah am Geschehen bzw an den Figuren dran und erzählt die Geschichte aus der Sichtweise von Hans und im Stil einer Charakterstudie. Triste, blase und kühle Farben bestimmen die knapp 2 Stunden Laufzeit, wodurch Wärme nur aufkommt wenn sich gerade zwei Männer lieben.

 

Dabei entstehen aber ausschließlich ästhetische Bilder mit denen sich der Film keinesfalls lustig über Schwule machen will, sondern zeigt wie zärtlich und gefühlvoll der Akt sein kann. Ohnehin schwenkt Kamerafrau Crystel Fournier recht schnell zur Seite wenn es zur Sache geht. Zudem werden sämtliche Oralakte aus einem Winkel gezeigt bei dem weder der Penis noch sonstige Haltungen erkennbar sind. Probleme mit Nacktheit sollte der Zuschauer dennoch nicht haben, da besonders Franz Rogowski häufiger sehr freizügig im Bild ist. Meistens dann wenn er in die dunkle Kammer muss, die heutzutage als "das Loch" betitelt werden würde. Dabei handelt es sich um eine bestialische Strafmaßnahme wodurch der Häftling nur mit Unterhose bekleidet in einen engen Kasten gesperrt wird. Auch die normale Zelle macht keinen besonders freundlichen Eindruck, ist diese doch extrem schlicht eingerichtet und karg. Matratzen sind ebenso nicht vorhanden wie Schränke oder ein Klodeckel.

 

Eine wahrlich kühle und traurige Umgebung in einer Zeit wo vieles noch mit der Aufarbeitung des Krieges zu tun hatte.

Ins gleiche Horn bläst der daran angepasste Soundtrack sowie sämtliche Kostüme, die in der Regel Sträflingskleidung sind.

Hierzu gesellt sich noch die Lichtsetzung, dank derer eine eher leblose Atmosphäre vorherrscht.

Davon lassen sich Rogowski und Georg Friedrich jedoch nicht abhalten und bieten jeweils eine herausragende Schauspielleistung. Obwohl es anfänglich eine ausgeprägte Abneigung von Viktor (Friedrich) gegenüber Hans (Rogowski) gibt entsteht über die Zeit ein inniges Verhältnis, das ihren ersten Höhepunkt auch deshalb hat, weil Viktor der fehlende Sex mürbe macht und er nun die Aussage von Hans versteht warum man im Knast schwul wird. Mit seinem österreichischen Dialekt fällt es punktuell schwer seine Aussagen vollends zu verstehen.

 

Dies macht Friedrich aber mit seinem Charisma und seiner Präsenz locker wett während Rogowski wie schon bei "Undine" eine durchaus komplexe Rolle verkörpert. Auch hier spielt eine starke Liebe die zentrale Rolle und es gelingt Ihm durchweg seinen Hans ausdrucksstark zu verkörpern; und dass obwohl er ein Alleinkämpfer ist und immer wieder seine Lover verliert. Einer nimmt sich das Leben, ein anderer wird (auch dank einer positiven Aussage von Hans) vorzeitig freigelassen. Rogowski zeigt eindrucksvoll das er einer der besten Charakterdarsteller im deutschen Genrekino ist und wird sicherlich in den nächsten Jahren noch in vielen Rollen zu sehen sein wo es einen authentischen Darsteller braucht.

 

 

Fazit: Ein beeindruckender deutscher Genrefilm, der sich etwas traut und dank seiner beiden stark aufspielenden Hauptdarsteller zu einem Werk wird, dass als besonders wertvoll im Jahr 2021 zu sehen ist.

 

Bewertung:

Genre: 8 von 10 Punkten

Gesamt: 8 von 10 Punkten

 

Platzspitzbaby (Drama)

 

Die 11-jährige Mia (Luna Mwezi) lebt mit ihrer drogenabhängigen Mutter Sandrine (Sarah Spale) in Zürich. Als dort 1995 die offene Drogenszene auf dem Platzspitz aufgelöst wird, ziehen die beiden aufs Land. Mia hofft, dass jetzt alles anders wird und ihre Mutter endlich von den Drogen loskommt. Aber der Teufelskreis, in dem Sandrine steckt, dreht sich immer weiter. Um ihre Tochter kann sich die Mutter kaum kümmern. Meist auf sich allein gestellt, flüchtet sich Mia in Fantasiewelten und findet außerdem Anschluss bei einer Kindergang. Die anderen Kids stammen ebenfalls aus schwierigen Verhältnissen und bei ihnen findet Mia die Kraft und Unterstützung, die sie zuhause nicht bekommt.

 

 

Basierend auf dem gleichnamigen, autobiographischen Buch von Michelle Halbheer bringt Regisseur Pierre Monnard ein Filmdrama auf die Kinoleinwand, dass zwar klein in seinem Umfang ist dafür aber umso lauter seine Message ans Publikum bringt. Die im Fokus stehende Beziehung von Mia zu Ihrer Mutter basiert vorallem aufgrund der besonders starken Liebe der 11-jährigen zu Sandrine, einer drogenabhängigen Frau ohne Perspektive. Nun gibt es Drogenfilme ja immer wieder im Kino und immer öfters scheint es den Drehbuchautoren zu gelingen neue Themenbereich abzudecken.

Inwiefern sich Monnard's Werk an seine literarische Vorlage hält kannt ich an dieser Stelle nicht beurteilen, aber das was über die Leinwand flimmerte hat mich derat umgehauen.

 

Gleich zu Beginn stehen Drogen und deren Konsumenten im Zentrum der Story, die bis zum Ende das prägende Element darstellen. Recht schnell lernt der Zuschauer Mia und Ihre Mutter Sandrine kennen und damit die beiden Hauptfiguren um die sich "Platzspitzbaby" drehen wird. Die katastophalen Verhältnisse unter denen das Mädchen aufwachsen soll verdeutlicht wohl nichts besser als die schlicht eingerichtete Wohnung mit auf dem Boden liegenden Matratzen als Bettersatz. Als Sozialhilfeempfänger sind selbst in der reichen Schweiz keine besonders großen finanziellen Sprünge möglich, weshalb Zigarreten und Alkohol prinzipiell im (ziemlich netten) Dorfladen geklaut werden. Gerade in solchen Momenten spührt  man die verdammt große Liebe von Mia zu Ihrer Mutter, da Sie aktiv am Diebstahl mitmacht und auch bei Gesprächen mit der zuständigen Sachbearbeiterin nur positives berichtet. Zuletzt ist es Mia's Urin den Sandrine abgibt um Ihre angeblich beendete Drogensucht zu dokumentieren.

 

Doch mehr als etwa 32 Tage schafft die völlig kaputte junge Mutter nicht und fällt immer wieder zurück in die Sucht nach dem nächsten Schuss. Auch hier muss Mia helfen und das Heroin abholen. Es macht unsetzlich traurig zu sehen wie sehr drogenabhängige Elternteile Ihre Kinder missbrauchen um das eigene verkorkste Leben aufrecht zu erhalten. Trotz all dieser Aspekte will Mia bei Sandrine bleiben und beweist jeden Tag aufs neue Ihren starken Willen und geistige Reife. Neben der Drogensucht setzt Monnard noch auf Themen wie Mobbing, Alkoholismus, Gewalt gegen Kinder, Bürokratie bei den Behörden, Kindergangs und Träume. Genau, dieser Film will aufzeigen wie sehr eigene Träume und der Glaube daran (und auch an Gott) zarte Kinderseelen am Leben erhält.

 

Auch die Freunde von Mia kommen aus sozialen Brennpunktfamilien weshalb "Platzspitzbaby" ein eindrucksvolles Beispiel dafür ist wie weit verbreitet solche Schicksale in unserer modernen Welt sind. Und da weder die Schule noch das Amt eingreifen können/wollen will das Drama auch aufzeigen das viele viele Kinder "vergessen" werden und damit keine Chance auf ein besseres Leben erhalten. Hierzu sei nur an den Absturz von Mia's Freundin Lola erinnert, die am Ende ebenfalls im Drogensumpf endet. Dank seiner feinfühligen und emotional berührende Inszenierung fühlen sich alle Momente und Situationen echt sowie authentisch an und machen aus dem Film ein Meisterwerk im schweizer Genrefilm. Als würde einem das traurige und schockierende Schicksal der 11-jährigen nicht schon genug zu Herzen gehen ist da noch der kleine Hund, den Sandrine kurzerhand verkauft um damit Drogen zu kaufen.

 

Dass selbst solche kleinen Details innerlich schmerzen ist wohl ein letztes Zeichen dafür, hier ein eindringliches Werk gesehen zu haben bei dem es immer wieder Momente gibt wo Tränen fließen können. Am liebsten will man hinrennen und beiden Hauptfiguren helfen, da Monnard Sandrine keinesfalls als Abschaum oder verachtenswerte Mutter hinstellt sondern deutlich erkennbar als bemitleidenswerte Mutter die Ihr Leben nicht in den Griff bekommt. Der aktuelle Drogenpegel bestimmt hierbei die Stimmungslage, welche von zärtlichen Momenten in einer Fotokabine bis Hass reichen, wenn Mia das Heroin aus dem Fenster wirft. Das Publikum soll erkennen wie schwer es ist einer Sucht zu entkommen obwohl man einen Menschen um sich hat der einen über alle liebt. Sandrine ist sowohl Opfer wie Täter und dient sinnbildlich als Musterbeispiel dafür wie viele Kinder aufwachsen müssen.

 

Stets nah an den Figuren und der Sicht von Mia geschildert funktioniert die Kamera mit Ihren einprägenden Bildern von der ersten bis zur letzten Minute. Dabei ergeben sich farblich gesättigte Bilder mit denen man die Atmosphäre perfekt untermalen kann. Da sich die Handlung über einen längeren Zeitraum (Monate) erstreckt ändern sich auch die äußerlichen Einflüsse, was sich anhand der getragenen Kleidung ablesen lässt. Dabei spielt sich das Geschehen an verschiedenen Orten ab, die von der zunehmend vermüllten Wohnung über die Schule bishin zu einer Eisenbahnbrücke erstrecken. Immer wieder an Mia's Seite: Ein imaginärer Freund im blauen Samtjacket und gelben Hemd, der nur einen gewissen Song spielen muss um dem Mädchen ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern. Nebenbei steht Ihr der junge Mann mit Rat und Trost zur Seite. Musikalisch wechseln sich in schweizer Landessprache gesungene Songs mit Hip Hop, Poptiteln, Rocksongs und gefühlvollen Balladen ab womit die ideale Begleitung zum Film gefunden wird.

 

Auch das Tempo stimmt, wenngleich die Story zu Beginn des Schlussaktes einen kleinen Hänger hat und Monnard evtl kurz davor seinen Film hätte beenden können. Hierdurch entsteht der einzig kleinere Kritikpunkt an einem ansonsten perfekt funktionierenden Film, der bei mir genau das ausgelöst bzw. bewirkt hat was er sollte. Dafür sind aber zum allergrößten Teil die beiden herausragenden Hauptdarstellerinnen verantwortlich, welche Ihre Rollen mit viel Gefühl, Intensität und Stärke spielen. Gerade Jungschauspielerin Luna Mwezi kann als im Chaos lebende und von vielen missachtete Mia überzeugen, die einerseits kindliche Züge an der Tag legt um kurz darauf geistig bereits voll entwickelt zu wirken. Der Anschluss zu anderen Kindern ist nicht so einfach und innerhalb der Gruppe um Lola passt sich Mia deren Gewohnheiten wie Rauchen und dem Konsum von Alkohol an. Zudem klaut Sie jetzt aktiv im Dorfladen und erhofft sich mit Rubbellosen die erforderlichen 10 T Franken zu gewinnen um auf die Malediven zu fliegen.

 

Die Übergänge gelingen spielend sowie flüssig und Mwezi verkörpert Ihre Figur extrem authentisch, nahbar und überzeugend. Hier hat der schweizer Film einen wahren Diamanten in seinen Reihen. Daneben erfreut Sarah Spale den Zuschauer mit Ihrer Performence der drogenkranken Mutter Sandrine, die Mia zwar liebt aber im Rausch nur noch den nächten Schuss im Kopf hat. Viel zu oft sagt Sie jetzt aufzuhören um danach doch wieder bei einem Bekannten abzuhängen. Hat Sie deshalb als Mutter auf ganzer Linie versagt? In gewisserweise ja, aber Sandrine ist auch ein Opfer Ihres Umfelds und hat teilweise schizophrene Phasen. Spale zeigt hier extrem viel Präsenz, Ausstrahlung und lässt Ihre Figur ambivalent erscheinen. Auch Ihr nimmt man jeden Gefühlsausbruch zu 100% ab, wie auch das dabei gezeigte Erscheinungsbild. Während sich Mia "normal" kleidet (und trotzdem den Eindruck vermittelt aus einer sozial schwachen Schicht zu kommen) sieht man Sandrine oft mit knappen Outfits und ungepflegten Äußeren (nicht gemachte Haare, verwischte Schminke, Augenringe)

 

 

 

Fazit: Kleiner schweizer Film, aber ganz großes Kino. Pierre Monnard's auf dem gleichnamigen Roman basierendes Filmdrama ist gefühlvoll, ernst, schockierend und bietet dabei ganz viel Gefühl und zwei herausragende Hauptdarstellerinnen.

 

Bewertung:

Genre: 9.5 von 10 Punkten

Gesamt: 9.5 von 10 Punkten

 

Eiffel in Love (Romanze/Drama/Biopic)

 

Paris im späten 19. Jahrhundert: Gustave Eiffel (Romain Duris) hat soeben die Arbeiten an der gemeinsam mit Frédéric-Auguste Bartholdi gebauten Freiheitsstatue in New York abgeschlossen und kehrt nun in seine Heimat zurück. Im Auftrag der französischen Regierung soll er für die Weltausstellung im Jahr 1889 sein bisher größtes Kunstwerk entwerfen, eine wahre Meisterleistung des Ingenieurshandwerks. Doch Eiffel will eigentlich nur die Pariser Metro überarbeiten, weswegen er stark unter Druck gesetzt wird. Da trifft er seine Jugendliebe Adrienne Bourgès (Emma Mackey) wieder, die er für immer verloren geglaubt hatte, was ihn zu einem nie dagewesenen Bauwerk inspiriert: dem Eiffelturm...

 

Er gilt als einer der größten Ingeneur der neueren französischen Geschichte und Schöpfer des Pariser Wahrzeichens schlechthin: Gustave Eiffel. Mit seiner biografisch sowie dramatisch angehauchten Romanze will Regisseur Martin Bourboulon seinem berühmten Landsmann nun einen Film widmen, der teils auf wahren Begebenheiten basiert und mit fiktiven Parts erweitert wird. Zum einen haben in historische Ereignisse eingepflanzte (erfundene) Liebesgeschichten in den letzten Jahrzehnten reihenweise Filmpreise abgeräumt ("Titanic" oder "Shape of Water") während besonders Biografien bekannter Persönlichkeiten gerade innerhalb der vergangenen Jahre Hochkonjunktur haben. Natürlich ist es ein wunderbares Zeichen wenn Hollywood und Co. (speziell der europäische Film) in Zeiten wie diesen an die großen Denker und Erfinder der letzten Jahrhunderte erinnern, da uns als Gesellschaft der Neuzeit genau solche Visionäre zu fehlen scheinen.

 

Und wenn dann kommen diese ausschließlich aus den USA, wie die Beispiele Elon Musk, Jeff Bezos oder Mark Zuckerberg zeigen. Sie alle hatten/haben einen Traum und ließen/lassen sich davon nicht abbringen, egal wie groß der Gegenwind ist oder wie viele Steine im Weg liegen.

So ähnlich erging es seinerseits Eiffel, der mit seiner Idee eines 300 Meter hohen Eisenturms auf viel Widerstand getroffen ist und für die Verwirklichung seines Traums kämpfen musste. Dies wäre zweifelsohne die Basis für eine Biografie gewesen, mit der man die Person Gustave Eiffel porträtieren hätte können um damit die Leistungen für die Allgemeinheit besonders hervor zu heben.

 

Bourboulon geht aber einen anderen Weg und stellt weniger die Errungenschaften des Ingeneurs als lieber dessen Gefühlswelt samt tragischer Liebesgeschichte in den Fokus seines Filmes. Historisch gesehen gab es Adrienne nie im Zusammenhang seiner Vita und ob die Form des Eiffelturms wirklich als Anspielung auf deren Anfangsbuchstaben zu deuten ist sei auch mal dahingestellt. Natürlich will ich hier nicht das Haar in der Suppe suchen und verstehe den Anhaltspunkt hinter dieser ausgeschmückten Handlung, aber generell sind mir faktenbasierte Biopics einfach viel lieber als das, was "Eiffel in Love" zu bieten hat. Zumal das Ganze äußerst zäh und tempoarm inszeniert wird, sodass man während einer Abendvorstellund durchaus dabei einschlafen könnte. Denn so richtig gelingt es dem Regisseur nicht die intensive, ehrliche aber tragische Beziehung von Gustave und Adrienne auf die Kinoleinwand zu zaubern.

 

Es fehlen die französische Leichtigkeit, der bekannte Esprit und auch das Gefühl von Überraschungen. Recht schnell wird deutlich was die beiden fühlen und das dies zum Konflikt mit Adriennes Mann führen muss, der dem Treiben nicht tatenlos zusehen wird. Damit beraubt sich "Eiffel in Love" jeglicher Spannung und die in zwei Strängen erzählte Handlung (Gegenwart und Vergangenheit vor etwa 20 Jahren) nimmt nie richtig Fahrt auf. So gut wie alle als intensiv-eindringlich konzipierten Liebesmomente von Eiffel und Adrienne verkommen zu einem Kaugummi der Gefühle und man möchte den Figuren nur zurufen "jetzt stellt euch nicht so kindisch an". Auf Dauer ermüden genau solche unnötig ausufernden Akte wodurch der romantische Flair zwangsläufig abhanden kommt.

 

Während das Publikum von der Grundstory kaum mitgerissen wird kommen sämtliche Nebenschauplätze massiv zu kurz, da diese Tempo, Feuer und Zündstoff mitgebracht hätten. So bleiben lediglich die wunderbar gefilmten Bilder im Arthauslook im Kopf, die dank einer angenehm warmen Farbgebung aufheitern und nebenbei tolle Kullissen bieten. Hier sind vorallem sämtliche Aufnahmen vom Turm zu nennen, von denen es gerne mehr hätten sein dürfen. Vom damaligen Paris bekommt der Zuschauer aber relativ wenig zu sehen und die Handlungsschauplätze lassen sich an einer einer Hand abzählen. Hierbei wurden auf unzählige Details geachtet sowie auf authentische Kostüme und Kleidung. Charakteristisch sind dabei die hohen Hütte der Männer sowie die üppigen Kleider der Frauen aus der Oberschicht.

 

Musikalisch gehört "Eiffel in Love" zu jenen Vertretern, welche mit durchweg genretypischen Melodien begleitet werden. Diese sind weder besonders orginell noch ausgefallen und laufen so nebenher mit. Als Eiffel kann Roman Duris durchaus überzeugen, verleiht er doch seiner Figur eine präsente Ausstrahlung sowie das gesteigerte Sebstbewusstsein mit dem er seine Widersacher zum schweigen bringt. Inwieweit der Ingeneur vom allgemeinen Gemüt her kühl und bestimmt war kann ich nicht beurteilen, aber Duris lässt seine Figur immer wieder so wirken. Dennoch strahlt Eiffel viel Selbstvertrauen aus und kann überzeugende Reden halten.

Auf der anderen Seite darf Emma Mackey die etwas geheimnissvoll Adrienne spielen, die Gustave schon damals geliebt hat und von Ihren Eltern zu hören bekommt hier keine gute Wahl getroffen zu haben. So gut wie in jeder Situation macht Adrienne einen seelisch zerbrechlichen sowie körperlich niedergeschlagenen Eindruck und scheint unter der Situation massiv zu leiden. Mackey beweist hierbei viel Fingerspitzengefühl und Facettenreichtum

 

Fazit: Trotz herausragender Kullissen und einem stark spielenden Cast ist die teilweise wahre Geschichte am Ende ziemlich schleppend und zäh inszeniert und dabei recht vorhersehbar in seiner Art.

 

Bewertung:

Genre: 5.5 von 10 Punkten

Gesamt: 5.5 von 10 Punkten

 

Kosmetik des Bösen (Thriller/Mystery)

 

Der Architekt Jeremiasz Angust (Tomasz Kot) hat gerade erfolgreich einen Vortrag absolviert. Auf seinem Weg zum Pariser Flughafen wird er von einem gesprächigen Mädchen namens Texel Textor (Athena Strates) angesprochen. Sie ist eine seltsame junge Frau, die Menschen zwingt, sich ihre merkwürdigen Geschichten anzuhören. Jeremy verpasst wegen ihr seinen Flug, doch ihre Begegnung scheint kein Zufall zu sein. Das Zusammentreffen nimmt eine bösartige und kriminelle Wendung...

 

 

 

Basiert auf dem Roman „Cosmétique de l'ennemi“ der belgischen Autorin Amélie Nothomb hat Regisseur Kike Maillo die dort niedergeschriebene Geschichte mit etwas anderen Voraussetzungen als knapp 90 minütigen Mystery-Thriller auf die Kinoleinwand gebracht. Zugegeben, wie eigentlich bei fast allen Buchverfilmungen ist mir das Orginalmaterial nicht bekannt und meine Kritik bezieht sich somit ausschließlich auf den Film und seine technischen sowie schauspielerischen Aspekte.

Durchaus als Kammerspiel angelegt, dass aus mehreren Akten besteht baut Maillo seinen Film in einem ähnlichen Muster auf wie Ryan Spindell bei seinem 2020 erschienenen "The Mortuary", der übrigens in meinen Augen der beste Horrorstreifen des Jahres war. Und wie beim letztjährigen Gruselfilm steigert sich "Kosmetik des Bösen" mit zunehmender Dauer und den damit erzählten Geschichten in Sachen Intensität, Spannung und Härte.

 

Wie so oft ist der deutsche Filmtitel fast schon irreführend (wenn auch nicht gänzlich) und der Orginaltitel beschreibt das Ganze um Welten besser. Dort heißt der Thriller "A Perfect Enemy" was sicherlich auch besser klingt. Kike Maillo wirft uns Zuschauer gleich zu Beginn in ein so durchschnittlich wie einfaches Szenario und man wohnt Jeremiasz bei seiner Vorlesung in Paris bei, die er kurze Zeit später verlässt um seinen Flug nach Warschau zu erreichen. Auf dem Weg, und eh schon in Eile, klopft eine junge Frau an die Scheibe und bittet um eine Mitfahrgelegenheit. Man kommt ins Gespräch, verpasst den Flug und muss nun 2 Stunden überbrücken. Spätestens hier fragt man sich das erste mal ob die Begegnung wirklich nur Zufall war oder ob hinter allem mehr steckt.

 

Ohne zu viel zu verraten, es steckt extrem viel hinter diesem schicksalshaften Moment. Texel gelingt es nämlich die Aufmerksamkeit des eher zurückhaltenden und spröden Architekten zu gewinnen um Ihm Ihre Geschichten zu erzählen. Diese haben es sich dann auch in sich, sind ekelhaft, blutig und mit einem hohen Maße Brutalität ausgestattet. Dabei ist "A Perfect Enemy" nur sehr dosiert brutal, lässt aber vieles allein durch Andeutungen im Kopf des Zuschauers ablaufen. Übrigens wechselt das Szenario dann auch regelmäßig in Jeremiasz Vorstellung wodurch die erzählten Geschichten zum Leben erwachen. Währenddessen ändert sich aber das Szenenbild ständig, weil (und das ist wissenschaftlich begründet) das menschliche Gehirn eigene Erfahrungen und Erlebnisse in jene Storys einfügt, die man sich gerne vorstellen möchte.

 

Als Zuschauer wird man dank dieser kreativen und intelligenten Inszenierung einerseits verwirrt aber auch ungemein angezogen und will mehr erfahren. Ist Texel's Geschichte nur der Ausdruck einer psychischen Krankheit, eine Lüge oder nur erfunden? Wie sagt der Architekt so schön: "die Wahrheit sagen ist nicht das gleiche wie ehrlich zu sein" und "Eine Lüge muss man immer wieder wiederholen damit diese für einen selber eine Art von Wahrheit wird"

Beide fast beiläufig erwähnte Zitate sollte man sich gut einprägen, da diese besonders im herausragenden sowie erschreckend gnadenlosen Finale zur Erläuterung der 90 Minuten dienen werden. Regisseur Maillo sorgt mit fast schon 10-minütigen Wendungen für stetig neue Richtungen und will damit erreichen, dass sein Publikum auch mit seinen Sympathien zwischen den beiden Hauptfiguren wandert.

 

Kaum zu glauben, aber jeder Twist ist absolut plausibel, glaubhaft und besitzt keinerlei Anhaltspunkte mit denen man das Rätsel lösen kann. Selbst als die knifflig gestaltete Handlung ihre Hüllen zu fallen lassen scheint und alles einen Sinn ergibt grätscht das verdammt starke Drehbuch dazwischen und wirft alles komplett über den Haufen.

Aber schon vorher nutzt Maillo mit einigen merkwürdigen Kameraeinstellungen (stets neue Positionen von Figuren in einem Modell und sich vergrößernde roten Flecken) die Möglichkeiten die Ihm das simpel erscheinende Set bzw. der vielen vertraute Handlungsort bietet um Hinweise zu streuen und seinem Film eine ordentliche Portion Mystery einzubläuen.

Die allermeiste Zeit spielt sich der Thriller nämlich in der VIP-Lounge des Flughafens ab, hat aber noch einige andere Schauplätze zu bieten. Diese reichen von Cafe's, Clubs und einem wiederkehrenden Friedhof hin zu einem Wohnwagen, Plattenbauten sowie willkürlich gewählten Straßen von Paris.

 

Der Fokus liegt ganz klar auf der Geschichte und seinen 2,5 Hauptfiguren. Warum eine halbe relevante Figur? Nun im Verlauf der Geschichten von Texel, die aufeinander aufbauen taucht plötzlich eine namenlose weibliche Schönheit auf, mit der das Drehbuch noch viel vor hat und dank dieser völlig neue Zusammenhänge aufgemacht werden.

Hier verbaut Maillo dann auch so schreckliche Gedanken und Anspielungen wie sexuellen Missbrauch, Eifersucht, Mord und zurückgewiesene sowie fanatische Liebe. Dadurch bewegt sich "Kosmetik des Bösen" immer wieder auf  Ebenen voller Suspense und psychischen Deutungen. Die Kamera ist dabei ununterbrochen nah an den Figuren, erlaubt aber auch den ein oder anderen Blickwinkel aus anderen Perspektiven. Mit ruhiger Hand und klarem Fokus aufs Wesentliche sorgt Kamerafrau Rita Noriega für die perfekte Aufnahme der Handlung und lässt den Zuschauer Teil des Ganzen werden.

 

Optisch bewegt sich der Thriller beim Thema Farbgebung, Schnitt und Ausstattung definitiv im Arthausbereich, kann aber mit brillianter Bildqualität und einem sehr wertigen Look und ebenso tollen Effekten überzeugen. Begleitend gibt es punktgenau darauf zugeschnittene Musikstücke von Komponist Alex Baranowski. Die schlichten sowie im einfachen Sounddesigne gehaltenen Titel sorgen jedoch für genau die nötige Dosis Atmosphäre und bilden nie den Mittelpunkt oder drängen sich in den Vordergrund.

Man muss sich "Kosmetik des Bösen" aber einfach ansehen um all die kleinen Details, versteckten Hinweise sowie das Gesamtbild fühlen zu können.

 

Neben den herausragenden technischen Details sind es die ungemein authentische gespielten Figuren Jeremiasz und nochmehr Texel weshalb dieser Thriller zu den besten Filmen 2021 zählt. Besonders die Intensität und Ausstrahlung von Athena Strates als junge Anhalterin und Geschichtenerzählerin verblüfft, fasziniert und schockiert. Mit fast schon spielerischer Leichtigkeit kann die Jungschauspielerin sämtliche Facetten abrufen mit denen Texel vorallem eines ist, unberrechenbar und gnadenlos. Egal welche Stimmungslage gerade vorherrscht, Strates trifft das Momentum penibel genau und in einigen Momenten kann es dem Zuschauer auch schonmal kalt den Rücken hinunter laufen wenn Texel Ihr fieses Lachen auspackt. Mehr kann man wohl kaum aus der vorgegeben Rolle herausholen, die ohnehin schon eine perfekte Vorlage bietet.

 

Daneben wirkt Tomasz Kot als Architekt immer wieder klein und unbedeutend obwohl auch er aus seiner Figur meines Erachtens alles rausholt. Sieht man es mal genau, dann ist Jeremiasz auch nicht zwangsläufig der Fokus sondern die attraktive Blondine. Anfänglich genervt von deren Storys verlangt seine Neugier dann doch noch mehr zu erfahren, zumal er zufällig ähnliche Erlebnisse hatte wie Texel. Der ruhige, zurückhaltende und etwa biedere Architekt ist stets bemüht die Fassung zu bewahren und mit logischen Folgerungen aufzudecken, das alle Geschichten nicht der Wahrheit entsprechen können. Dabei schwingt immer wieder mit, das seine Frau Isabelle vor 20 Jahren spurlos verschwunden ist und er immer noch an Ihr hängt, was man am Ehering sieht den Jeremiasz nicht abnehmen will.

Die später eingeführte (und lange Zeit namenlose) Frau wird von Marta Nieto verkörpert, die trotz eher wenig Spielzeit eine gewisse Präsenz ausstrahlt, verletzlich wirkt und den Eindruck vermittelt ein verschlossener Mensch zu sein. Welche Rolle Sie im späteren Verlauf spielt möchte ich natürlich nicht verraten, damit euch die Möglichkeit bleibt genauso überrascht zu werden wie ich.

 

 

 

Fazit: Wer auf besondere Mystery-Psycho-Thriller steht kommt um diese deutsch-spanische-französische Produktion nicht drum rum. Unzählige Wendungen, eine intelligente Story, viel Spannung und vorallem zwei herausragende Darsteller machen dieses Kammerspiel aus mehreren Akten zu einem intensiven Filmerlebnis mit wechselnden Richtungen.

 

Bewertung:

Genre: 9 von 10 Punkten

Gesamt: 10 von 10 Punkten

 

Ammonite (Romanze/Drama)

 

In den 1840er Jahren arbeitet die renommierte autodidaktische Paläontologin Mary Anning (Kate Winslet) allein an der wilden südenglischen Küste von Lyme Regis. Sie ist auf der Suche nach Fossilien, die sie an reiche Touristen verkaufen kann, um sich und ihre kranke Mutter über die Runden zu bringen. Als ein solcher Tourist, Roderick Murchison (James McArdle), auf der ersten Etappe einer Europatour in Lyme ankommt, vertraut er Mary die Betreuung seiner jungen Frau Charlotte (Saoirse Ronan) an, die sich von einer persönlichen Tragödie erholt. Mary, deren Leben ein täglicher Kampf an der Armutsgrenze ist, kann es sich nicht leisten, ihn abzulehnen, aber sie ist stolz auf ihre Arbeit und gerät mit ihrem unerwünschten Gast aneinander. Sie sind zwei Frauen aus ganz unterschiedlichen Welten. Trotz der Kluft zwischen ihren sozialen Sphären und Persönlichkeiten entdecken Mary und Charlotte, dass sie beide das bieten können, wonach der andere gesucht hat: die Erkenntnis, dass sie nicht allein sind. Es ist der Beginn einer leidenschaftlichen und alles verzehrenden Liebesbeziehung, die allen sozialen Grenzen trotzt und den Verlauf beider Leben unwiderruflich verändert.

 

Ende Oktober 2019 kam der mit dem Preis für das beste Drehbuch bei den Filmfestspielen Cannes ausgezeichnete "Porträt einer jungen Frau in Flammen" in die deutschen Kinos und damit ein historischer Film über die Liebe zweier Frauen zueinander. Während der französische Genrefilm im späten 18. Jahrhundert spielt lässt Regisseur und Drehbuchautor Francis Lee sein Liebesdrama etwa 100 Jahre später im regnerischen Südenglang rund um Lyme Regis spielen. Auch hier stehen zwei Frauen und deren tief-emotionale Liebe im Fokus, die zur damaligen Zeit ein Tabu-Thema war und unter Strafe stand. Anders als Celine Sciammas' Werk sind Lee's Frauen nicht im gleichen Alter und können fast schon als Mutter-Tochter durchgehen. Eine lesbische Beziehung und zudem ein riesiger Altersunterschied; Der Regisseur spricht gleich zwei Aspekte an, die in der heutigen, moderern Welt zum Alltag gehören.

 

Wie nicht anders zu erwarten stellt Francis Lee ein historisch sehr korrektes Bild dar und zeigt die Nachteile der Frauenwelt in einer Epoche wo Männer die alles dominierende Gattung waren. Und so wird Mary's bekannteste Entdeckung im British Museum unter anderem Entdeckernamen geführt. Mary ist ohnehin keine Frau im klassischen Sinne des 19. Jahrhunderts. Nie verheiratet und keine Kinder, zudem in der Wissenschaft tätig lebt Sie zusammen mit der kranken Mutter (die Ihren toten Kindern mithilfe von Porzellanfiguren nachtrauert) allein in der tristen Küstenstadt. Alles ist in graue, dunkle und leblose Farben getaucht während einzig das Meer mit den freigelegten Fossillien am Strand für Farbtupfer sorgen. So entsteht ein kühler Look einer anfangs bewusst spröden Romanze, die sich immer mehr zu einem betrückenden aber hoch emotionalen Liebesdrama entwickelt, das keinen Zuschauer kalt lässt.

 

Die titelgebenden Ammoniten erhalten dabei nur punktuell Aufmerksamkeit, da diese wohl eher Mittel zu Zweck sind um die vielen Widersprüche im Frauenbild des 19. Jahrhunderts. Falls Ich es noch nicht erwähnt habe: Mary Anning ist eine historische Person und gilt heute als Pionierin Ihres Forschungsgebiets und für Frauen in der Wissenschaft generell. Eine fachliche Ausbildung genoss die in einfachen Verhältnissen aufgewachsene Mary nie und wurde von den männlichen Kollegen konsequent niedergemacht. Würden im Jahr 2021 viele Politiker mit der selben Hartnäckigkeit die Probleme dieser Welt anpacken, wir hätten deutlich weniger Leid und Benachteiligungen.

Inwiefern die fiktive lesbische Beziehung dem heute beliebten Stil mit Tabuthemen in Filmen Aufmerksamkeit zu erzeugen dient möchte ich nicht beurteilen.

 

Wenn die Geschichte stimmig erzählt, plausibel inszeniert und den Zuschauer auf angenehm natürliche Weise berührt sind die Details nebensächlich. Francis Lee wählt den Pfad eines sehr ruhigen Erzählstils, bei dem es immer wieder scheint als würden sich Mary und Charlotte endlich küssen und lieben um das Publikum erneut weiter auf die Folter zu spannen. Dabei driftet "Ammonite" zu keiner Zeit ins melodramatische ab und gibt seinen Figuren Raum und viel Zeit sich zu entfallten und besser kennen zu lernen. Besonders die gemeinsamen Szenen am Strand gelingen Lee perfekt und erwecken den Eindruck einer heilen Welt. Obwohl sich die Begeisterung  anfänglich in Grenzen hält spührt der Zuschauer recht schnell das knistern zwischen den Frauen, die kaum ein Wort wechseln. Allgemein ist "Ammonite" ein leiser Streifen, der nur dann laut wird wenn das Szenario in der Stadt (London) spielt und die dort vorherrschende Hektik eingefangen wird.

 

Ausstattungstechnisch beschränkt sich Lee auf das Nötigste womit das einfache Leben deutlich zur Geltung kommt. Auch die Kostüme sind so gewählt sodass jedem klar wird es mit Menschen im unteren Einkommensbereich zu tun zu haben.

Auf der anderen Seite ist die vermögende Charlotte, deren Ehe wohl ein Zweckbündnis darstellt und nicht gerade den glücklichsten Eindruck macht. Dies liegt zum einen am schweren Schicksalsschlag (Baby verloren) und an der fehlenden Liebe zu Ihrem Mann. Optisch trägt die junge Frau sehr edle Kleider und ist handwerklich ungeschickt. Ihre traurigen, seelenlosen Augen mitsamt der trägen Körperhaltung sind genau das Gegenteil vom Bild, welches wohl jeder mit den Reichen der damaligen Zeit asoziiert.

 

Gefilmt im ästhetischen, stillvollen und leicht erotischen Rahmen sowie stets hautnah an den Figuren überzeugt "Ammonite" auf der technischen Seite vollends, Hinzu kommt ein romantisch-dramatisch angehauchter Soundtrack, der eher dezent gehalten ist und eine begleitende Funktion einnimmt. Störend fallen eigentlich nur die in meinen Augen punktuell ausufernden Schnitte auf, die immer wieder wunderbar anmutende Momente zerstören und einem aus allen Zuneigungen reißen. Trotz knapp 2 Stunden Lauflänge fühlt sich "Ammonite" in keinem Moment auch nur einen Tick zu lange an und besitzt ein ausgeglichenes Verhältnis von Romanzen- sowie Dramaelementen. Hauptsächlich lohnt sich der Kinogang aber aufgrund der beiden herausragenden Hauptdarstellerinnen. Zu Kate Winslet ist eigentlich schon alles gesagt und jeder hat die 46-jährige Britin wohl zuminderst einmal in "Titanic" bestaunt. In Lee's Film verleiht die bekannte Blondine Ihrer Figur eine besondere Aura und Ausstrahlung. Wie ein Stein durch eine Pflanzenwurzel bricht die verschlossene sowie verbitterte Mary auf und öffnet sich in vielerlei Hinsicht der jungen Charlotte.

 

Neben der emotionalen Ebende betrifft dies vorallem auch das körperliche. Aus intensiven Küssen werden heiße Nächte im schmalen Bett und Mary kommt endlich über die wohl schmerzhafteste Zurückweisung Ihres Lebens hinweg. Winslet spielt nicht nur so routeniert wie eh und je sondern gleichfalls hingebungsvoll sowie voller Überzeugung.

Keinesfalls schlechter und trotz noch jungen Jahren macht es Ihr Saoirse Ronan gleich. Die 27-jährige (u.a. Little Woman) schlüpft in die Rolle der deprimierten, traurigen und sorgenvollen Charlotte, deren Leben trotz Geld und Wohlstand keineswegs freudig erscheint. Wie Winslet gelingt ein durchweg überzeugendes Spiel mit zahlreichen Facetten womit Ronan's Talent voll zum Tragen kommt. Es macht, trotz tragischem Hintergrund, einfach Spaß beiden Frauen zuzusehen obwohl der Altersunterschied anfangs für ein merkwürdiges Gefühl sorgt. Allein deshalb lohnt sich "Ammonite" schon, der durchaus Chancen hat bei den Oscars eine oder mehrere Nominierungen zu ergattern.

 

Fazit: Eine besondere Liebesgeschichte, erzählt in sinnlichen und ästhetischen Bildern sowie mit ruhigen Ton. Dabei spielen vorallem die beiden Hauptdarstellerinnen hervorragend sowie mit authenischer Leidenschaft und Hingabe. Visuell beeindruckend gefilmt ist "Ammonite" ein Film voller Emotionen

 

Bewertung:

Genre: 8 von 10 Punkten

Gesamt: 8 von 10 Punkten

Last Night in Soho (Psychothriller/Horror)

 

Die junge Eloise (Thomasin McKenzie) stammt vom Land und ist gerade nach London gezogen, wo sie ihre große Leidenschaft für Modedesign ausleben will. Ausgefallene Stoffe, klassische Schnitte oder mutige Muster: Für die Modedesignstudentin ist Kleidung pure Lust, denn sie hat sich schon immer ihre eigenen Klamotten angefertigt. Während aber ihre Mitstudierenden ausgelassen Party machen, träumt sich die von ihrer neuen Umgebung überforderte Eloise ins London der 1960er-Jahre. In der Gestalt der jungen Sandy (Anya Taylor-Joy) zieht sie durchs Londoner Café de Paris und andere Clubs, die ihr das Gefühl von Sicherheit geben. Sie führt ein Parallelleben, in dem sie eines Tages den verführerischen Manager Jack (Matt Smith) trifft und ist fasziniert von seiner geheimnisvollen Aura. Doch die beschwingten, romantisierten Sechziger sind tatsächlich längst nicht so schön und frei, wie es zuerst den Anschein hat...

 

Im Genre der Psychothriller gibt es nicht nur einige herausragende Vertreter sondern auch viele, denen der Ruf vorauseilt dass das Publikum diese oftmals nur einmal sehen muss oder will. Und nun bringt Regisseur Edgar Wright mit "Last Night in Soho" ein Werk auf die Kinoleinwand, das man sich sicherlich mehrfach ansehen kann (oder sogar muss) aber dennoch in die Riege der besonderen Genrevertreter einzuordnen ist. Sein wahnsinnig gnadenloser Trip durch das London der 1960er Jahre ist vorallem für die beiden Hauptfiguren eine wahre Tortur und dürfte auch einigen Zuschauern schlaflose Nächte bescheren. Nicht weil der Film schlecht ist, sondern vielmehr aufgrund der einzigartigen Verschmelzung von Realität und Fiktion. Der ständige Perspektivenwechsel gelingt nahtlos und lässt die jeweiligen Momente sowohl aus Ellie's wie auch Sandy's Sicht erscheinen. Nebenbei bemerkt setzt Edgar Wright trotz ernster und düsterer Grundstimmung auch auch ein klein wenig Witz und Ironie sowie gewollte Lacher.

 

"Last Night in Soho" bietet eine hochspannende, intensive, mitunter brutale und vorallem visuell überzeugende Handlung, die so unschuldig wie friedlich beginnt. Zu Beginn sieht man Ellie singend und tanzend in Ihrem Zimmer, das in einem Haus auf dem Land liegt und eigentlich pure Idylle ausstrahlt. Doch der Schein trügt etwas, da die junge Frau mit einer schweren Last leben muss: Der Vater ist unbekannt und die Mutter hat sich das Leben genommen als Ellie 7 Jahre alt war. 

Ein Modestudium in London soll zum Durchbruch helfen und hier zeigt der Thriller erste Ansätze von dem was in den knapp 2 Stunden Laufzeit alles kommen wird. Mit wenigen aber aussagekräftigen Charaktereigenschaften/Figurenzeichnungen gelingt es recht schnell ein authentisches Umfeld einer Uni zu schaffen, das geprägt ist von Partys, Alkohol, Sex, Missgunst und Ausgrenzungen von Leuten, die nicht der breiten Masse entsprechen.

 

Das bisher eher gemächliche Tempo nimmt jetzt langsam an Fahrt auf, erste Visionen kommen und Ellie taucht nachts in die glitzernde Welt der "Swinging Sixties" ein. Schon damals waren nächtliche Partys angesagt und die Stars traten in den angesagtesten Clubs der Stadt auf. Doch wie immer trügt der Schein und hinter allem steckt ein schmutziges System, dem auch die junge Sandy zum Opfer fällt. Zusehens verdunkelt sich die Bildsprache, wird der Ton rauer und Ellie's Visionen scheinen immer mehr zur Realität zu werden. Dabei spielen Spiegel eine entscheidende Rolle, dienen diese doch als Art Tor zwischen den Welten und der Zeit. Somit werden die täglichen Ausflüge in die 60er Jahre mehr und mehr zur Qual, der Film bekommt einen düsteren Touch und das Spannungslevel erreicht den Höhepunkt.

 

Immer mehr Puzzleteile finden sich zusammen, ein aufregendes und tödliches Katz-und-Maus Spiel mit Elementen eines Krimis beginnt und der Zuschauer sitzt voller Anspannung im Kinosessel. Ja, "Last Night in Soho" fesselt sein Publikum mit vollen Zügen, sofern jeder einzelne bereit ist sich darauf einzulassen. Gerade mit seinen visuellen Stärken kann der Psychothriller überzeugen. Neben der glänzenden Kameraarbeit, bei der das Aufnahmegerät wie ein Geist durch die Räume zu schweben scheint, sind es aber die grau-schwarzen und gesichtslosen Männer im Hologramstil welche noch lange nach dem Abspann in den Köpfen der Zuschauer rumgeistern werden. Trotz Verschwommenheit strahlen diese eine Detailgenauigkeit aus und dienen durchaus auch als Horrorelement mit Gruselfaktor.

 

Wie man die Peiniger von Sandy integriert und einsetzt beweist die intelligente Vorgehensweise von Wright, der sich mit seiner Inszenierung deutlich vom Massenmarkt absetzt. Sein Film besitzt einige Wendungen und ein grandioses Finale mit dem die Geschichte plötzlich eine neue Richtung erhält und für den großen AHA-Moment sorgt. Doch bis es soweit ist nutzt der Regisseur die Gelegenheit mit regelmäßigen Pausen u.a. eine kleine Romanze einzubauen, die zunehmend intensiviert wird. Die Tempobremser tun dem Film allgemein ganz gut, vermeidet man damit doch die Gefahr des Überhitzens und gibt dem Zuschauer zusätzlich die Möglichkeit das bisher gesehene zu verarbeiten. Volles Rohr lässt sich die gnadenlos packende und intensive Erfahrung eines solchen Psychotrips definitiv nicht durchziehen. Ebenso wenig kann man dem Publikum nicht die Dauerbeschallung der bunten Reklame eines französischen Restaurants zumuten, welches das optisch und technisch in den 60er Jahren stehengebliebene Zimmer von Ellie in ein Meer aus Rot und Blau taucht.

 

Allgemein lässt sich sagen das Wright und sein Team besonderen Wert auf den Look, die Ausstattung sowie ein glaubhaftes und überzeugendes Bild der einzelnen Schauplätze gelegt haben. Jedes Detail soll stimmen, jede Kameraeinstellung den besten Blickwinkel garantieren (Der Mord mit den 100 Messerstichen ist hier wohl das beste Beispiel) und sämtliche Lichteinstellungen für schattenfreie Aufnahmen sorgen. Wenn es dann um die Sexualisierung von Sandy bzw. den jungen Frauen der damaligen Zeit geht, ist sich Wright nicht zu schade auch hier gnadenlos ehrlich zu sein. Schließlich soll der Zuschauer immer wieder wütend gemacht werden und diese aufkommende Wut auch spüren. Am Ende wird auch eines deutlich. Neben der klaren #metoo Message will "Last Night in Soho" auch eines aufzeigen: Heute ist nicht alles besser wie damals, während die "gute alte Zeit" auch nur eine Floskel darstellt.

 

Neben dem techischen Part sind es vorallem Anya Taylor-Joy als Sandy und Thomasin McKenzie alias Ellie dank denen Edgar Wrights Film so sehenswert ist. Beide Jungdarstellerinnen pushen sich gegenseitig zur Topleistung und machen es damit unmöglich festzustellen wer den nun dem Film ihren Stempel aufdrückt. Dass die beiden Darstellerinnen so überzeugen liegt sicherlich am Elan, Willen und Können aber eben auch an perfekt geschriebenen Figuren. Dadurch strahlen Sandy und Ellie eine immense Präsenz aus und glänzen mit ausdrucksstarkem Schauspiel. Obwohl der Regisseur von beiden viel abverlangt, den Figuren auch viel zumutet spührt man dennoch eine gewisse Gelassenheit und riesiges Selbstvertrauen, besonders wenn man in die Augen von Taylor-Joy und McKenzie blickt. Mimik und Gestik sind phänomenal ausgeprägt und ohne fehlerfrei. Als Duo mit gegenseitigem Spiegelbild kann man fast meinen eine Figur mit zwei Persönlichkeiten erleben zu können.

 

Während "Last Night in Soho" ausschließlich von seinen Protagonistinen getragen wird scheint der restliche Cast abzufallen, was aber keineswegs der Realität entspricht. Zwar kommen die "Nebendarsteller" nicht gegen die Frauenpower an, aber dennoch werden die entsprechenden Figuren im Rahmen der Spielzeit bestmöglich verkörpert. Was aber keiner aus dem Darstellerpool verhindern kann sind die stellenweise etwas zu sehr ins skurrile abdriftene Seitenarme der Handlung sowie das Gefühl hier einen Film gesehen zu haben, der mit etwa 10 Minuten weniger Laufzeit keinesfalls schlechter geworden wäre.

 

Zum Ende muss ich noch den herausragenden Soundtrack herausstellen, der geprägt ist von zahlreichen Hits der 1960er Jahre und auch von Taylor-Joy eingesungene Tracks enthält (einer ist übrigens im Trailer zu hören). Daneben liefert Steven Price wieder einen maßgeschneiderten Score, der vorallem im atmosphärischen Bereich seine Stärken besitzt und die klaren und farblich gesättigten Bilder perfekt begleitet. Neben den vielen visuellen Pluspunkten kann also auch der audiotechnische Teil überzeugen und macht aus "Last Night in Soho" ein unvergessliches Kinoerlebnis. Es würde noch so viel mehr zu erzählen geben, aber jeder soll und darf sich ein eigenes Bild von diesem besonderen Psycho-Horror-Thriller machen, der ab dem 11.11.2021 im Kino zu sehen ist.

 

Fazit: Edgar Wright liefert einen vorallem visuell beeindrucken, spannenden, intelligenten und stark gespielten Psychothriller mit Horrorelementen ab, der zudem eine klare #metoo Botschaft enthält.

 

Bewertung:

Genre: 9 von 10 Punkten

Gesamt: 9 von 10 Punkten

 

The Many Saints of Newark (Thriller/Krimi)

 

Etwa 15 Jahre nach dem Ende der Serie "Die Sopranos" kommt die Vorgeschichte ins Kino.

 

In den 1960er-Jahren wird die Stadt Newark, New Jersey, von Rassenunruhen erschüttert. Italo-Amerikaner und Schwarze stehen sich feindselig gegenüber. Als Gangster von beiden Seiten in den Konflikt einsteigen, nehmen die Ereignisse eine tödliche Wendung. Mitten in diesen Unruhen steht Dickie Moltisanti (Alessandro Nivola), der als Oberhaupt der italo-amerikanischen Mafiafamilie die illegalen Geschäfte leitet. An seiner Seite wächst Tony Soprano (Michael Gandolfini) zu einem namhaften Mafia-Mitglied heran, der sich die Eigenheiten des Lebens in der Unterwelt schnell aneignet. Tony ist fasziniert von der Macht seines Onkels Dickie und dieser weiß, wie er den Respekt des Jungen für seine dreckigen Geschäfte nutzen kann. Allerdings ahnt der Mentor nicht, dass sein Lehrling das Spiel bald in Perfektion beherrscht...

 

Ich muss zugeben, als ich im Sommer das erste mal von diesem Film und dessen Hintergrund gehört habe war dies wie ein riesiger schwarzer Fleck auf meiner Serienvita. Die Serie "Die Sopranos" muss wohl komplett an mir vorbei gelaufen sein obwohl diese gute 8 Jahre recht erfolgreich über die TV-Bildschirme flimmerte. Nun bekommen also alle Fans etwa 15 Jahre danach endlich die Vorgeschichte zur fiktiven Mafiafamilie um Tony Soprano auf der großen Kinoleinwand geboten.

Aufgrund meiner fehlenden Vorkenntnisse kann ich "The Many Saints of Newark" nur als alleinstehenden Film bewerten, der vollgepackt mit vielen Handlungssträngen und noch mehr Figuren am Ende ein paar Fragezeichen hinterlassen hat.

 

Grob gesagt ist der Gangsterstreifen in zwei große Blocks eingeteilt, die jeweils in verschiedenen Jahren spielen. Anfangs findet man sich anfangs der 1960er Jahre wieder und erste Strukturen werden aufgezeigt. Dabei lernt der Zuschauer gleich mal so gut wie alle relevanten Figuren kennen und welche Konflikte eine Rolle spielen. Die italienische Mafia mit Ihren großen Familien hat Newark unter sich aufgeteilt und die Moltisantis sind eine davon. Ihr Geld verdienen sie mit Wettgeschäften und Hehlerei während die Aufstände der Afroamerikaner immer weiter eskalieren. Innerhalb der großen Familie besteht ein gewisser Zusammenhalt, aber auch Konkurrenzdenken. Mord, Macht und wie sollte es auch anders sein, Sex, gehören ebenso zum Alltag wie die regelmäßigen Treffen.

 

Dann macht der Film einen Zeitsprung von 4-5 Jahren wobei sich die vormals Erwachsenen optisch quasi nicht verändern während die Kinder nun Teenager sind. Nun rückt auch Tony Soprano mehr in den Fokus, der seine Rolle innerhalb der Mafia noch nicht gefunden hat und von seinem Onkel Dickie fasziniert ist und unbedingt von Ihm lernen sowie geleitet werden möchte. Gewissermaßen ist "The Many Saints of Newark" durchaus im Genre des Dramas einzuordnen, da die illegalen Geschäfte nur am Rande erwähnt und gezeigt werden, während die Konflikte deutlich stärker thematisiert werden. An dieser Stelle wäre es aus Spoilergründen nicht angebracht die Handlung weiter zu vertiefen, soll doch jeder interessierte Leser noch Lust auf die zahlreichen Entdeckungen haben, die Ihn hier erwarten.

 

Hier kommen wir aber zu einem der größeren Probleme des Thrillers, der besonders für Nichtfans wohl mit Hintergrundinfos zu den zahlreichen Figuren zugeschüttet werden und am Ende mit einer Art Erschöpfung den Saal verlassen. Daher finde ich auch die knapp 120 Minuten Laufzeit unter diesem Aspekt ein gutes Stück zu lang, während Liebhaber der Serie vollends auf Ihre Kosten kommen und dabei wohl immer noch mehr wollen. Aufgrund der unzähligen Handlungsstränge sowie dem teils schnellen hin- und herspringen innerhalb dieser Storylines ist es phasenweise nicht richtig möglich den Überblick zu behalten. Auch die Fülle an Figuren kann Überforderung hervorrufen, wenngleich die Macher und das Skript bemüht sind jedem Protagonisten/jeder Protagonistin ausreichend Zeit und Raum zu geben.

 

Auf einzelne Charaktere will ich jetzt nicht eingehen da dies definitiv den Rahmen sprengen würde. Daher beschränkt sich der folgende Part mit den Darstellern und deren durchweg positiven Leistungen. Im Cast finden sich teilweise richtig namhafte Schauspieler wie etwa Jon Bernthal, Vera Farmiga, Ray Liotta oder Leslie Odom Jr.

Nicht jeder nimmt dabei zwangsläufig eine größere Rolle ein, obwohl "The Many Saints of Newark" viele Hauptfiguren besitzt. Es macht aber über die gesamte Laufzeit Spaß den Darstellern/Figuren zuzusehen und man nimmt auch jedem seine Rolle innerhalb dieser Welt ab. Nebenbei gelingt es gesellschaftskritische Themen wie etwa Rassismus mit entsprechend ausfüllender Präsenz einzubauen und damit ein glaubhaftes Bild er Zustände in den USA aufzuzeigen.

 

Sieht man rein die technischen Aspekte kann die Vorgeschichte der "Sopranos" mit fast voller Punktzahl glänzen. Neben dem orginellen, aber genretypischen Sound (inkl. einiger Hits der damaligen Zeit wie etwa "San Francicso") sind es die durchweg starke Ausstattung der Spielorte, authentische Kostüme sowie der Gesamtlook mit denen der Film sein Publikum begeistern kann. Unzählige Kultautos der 60er Jahre, alte Telefone mit Wählscheibe, oder Röhren-TV mit schwarz-weiß Bildern sind dabei nur einige Punkte auf einer langen Liste von verwendeten Gegenständen. Hinzu kommt eine entsprechende Farbwahl dank derer man sich "The Many Saints of Newark" zu keiner Zeit wie ein moderner Film anfühlt und ein überzeugendes Feeling im Kinosaal erzeugt. Dazu tragen auch die ein oder andere witzige Szene bei, welche als Lockermacher zum sonst sehr ernsten und teils brutalen Ton dienen. Die Kameraarbeit überzeugt mit wunderbaren Einstellungen und sehenswerten Fahrten mit denen man stets eine ansprechende Sichtweise auf das Geschehen bekommt.

 

 

Fazit: Besondes Fans der Dramaserie "Die Sopranos" werden hier voll auf Ihre Kosten kommen. Die knapp 2-stündige Vorgeschichte in Form eines authentischen Gangsterfilms liefert massig Handlungsstoff, besitzt eine tolle Optik samt Ausstattung und punktet mit seinem starken Cast. Leider werden alle Nichtkenner mit Infos zugeschüttet und der Stoff bietet Raum für mindestens 2 Filme, weshalb die Laufzeit auch zu lange erscheint.

 

Bewertung:

Genre: 7.5 von 10 Punkten

Gesamt: 7 von 10 Punkten

 

A Pure Place (Drama)

 

Sekten haben vielerlei Gesichter und Anschauungen. Bei "A Pure Place" stehen eine besondere Seife sowie absolute Reinheit im Mittelpunkt.

 

Die 14-jährige Irina (Greta Bohacek) und ihr kleiner Bruder Paul (Claude Heinrich) leben unter dem geheimnisvollen Sektenführer Fust auf einer abgelegenen griechischen Insel. Zusammen mit anderen Kindern hausen sie hier im Dreck des Kellers unter der makellosen Villa ihres angeblichen „Retters“. Hier werden sie gezwungen, eine spezielle Seife herzustellen, die den Sektenmitgliedern als Sakrileg die absolute Reinheit verspricht. Als Fust auf die schöne Irina aufmerksam wird, wählt er sie aus, um in seiner Villa zu leben – und die neue Macht, die Irina dadurch erhält, berauscht sie zusehends. Die Dinge nehmen nach und nach einen gewaltsamen Lauf…

 

Das Leben in einer Sekte und die Folgen daraus waren und sind immer wieder mal Thema auf der Kinoleinwand. Mit seinem zweiten Spielfilm beschäftigt sich nun auch der deutsch-griechische Regisseur Nikas Chryssos mit dieser geheimen und mysteriösen Welt. Anstatt aber wie viele seiner Kollegen mit Erwachsenen  im Mittelpunkt, sind es hier zwei Geschwister deren Leben sich nicht in gewohnten Bahnen abspielt. Auf einer abgelegenen Insel sind Sie Teil einer Sekte, deren Ziel die absolute Reinheit ist. Dabei handelt es sich sowohl um körperliche wie auch seelische und geistige Reinheit weshalb viele der Aussagen, Wortlaute und Ausdrucksweisen stark an nationalsozialistische Ideologien erinnern. Stellenweise sind die Parallelen zur Nazizeit verblüfend auffallend und es stellt sich ein WTF-Gefühl ein. Dies ist aber nur ein Punkt auf der Liste der beiläufigen aber deutlich erkennbaren Gesellschaftskritik in Chryssos' neuem Werk. Ein weiterer ist etwa wie schnell verwahrloste Kinder in die Hände von psychisch kranken Männern wie Tust kommen und von der Gesellschaft nicht mal gesucht werden.

 

Um ein abschließendes Beispiel zu nennen, welches vielleicht das mit der höchsten Brisanz ist, macht es schwer den Eindruck als würden die Bewohner der Küstenstadt genau wissen auf der griechischen Insel vor sich geht und einfach wegsehen. Man will sich nicht in Dinge einmischen und es betrifft ja ohnehin nur Kinder. Schließlich ist man als Einwohner selbst nicht betroffen. Kommt alles auf ist der Aufschrei dann aber Riesengroß und keiner will Verantwortung übernehmen.

Mit seiner kompromisslosen und gewissermaßen schonungslos-offenen Insenzierung beweist der Regisseur wahren Mut und hat dabei keine Scham sein Publikum zu provozieren. Hierzu sei eine Szene genannt, die einerseits ästhetisch zur Schau gestellt wird, aber eine extrem hohe erotische Note besitzt und nicht mit Nacktheit geizt (Nacktheit im Sinn von völliger Entblößlung); Mittendrin in der rituellen Waschung findet sich die 14-jährige Irina, die von augenscheinlich deutlich älteren (Mitte-Ende 20-jährigen) Männern und Frauen ausgiebig gereinigt wird, während Tust dies wohlwollend (und vllt erregt?) vom Balkon aus beobachtet.

 

Es zeugt aber auch von Selbstbewusstsein auf Seiten des Filmemachers mit solch eindeutiger Bildsprache arbeiten zu wollen mit der Wahrscheinlichkeit das er den ein oder anderen Zuschauer damit gegen sich aufbringt. Das penetrant auf absolute Reinlichkeit/Sauberkeit getrimmte Bild der Sekte spiegelt sich in der besonderen Seife wieder, welche nur die "Oberen" benutzen dürfen, während die "Unteren" im Keller als Schmutz gelten. Klar sind hierbei auch die Kostüme sowie das Make-up gehalten, mit denen eindeutig unterschieden wird, wer wohin gehört. Der "Dreck" besitzt dunkle Kleidung, ist ungewaschen und macht allgemein einen ungepflegten Eindruck. Hingegen erscheinen die anderen strahlend weiß und haben ebenso helle und gewissermaßen leuchtende Kleider an. Insgesamt alles recht simpel sowie unifarben (die aber in kräftige Farben getaucht sind), aber maximal effektiv. Man kann Tust und seinen erlesenen Kreis zweifelsohne auch als Jesus mit seinen Jüngern vergleichen, welche eine ähnliche Außendarstellung pflegten. Chryssos arbeitet hier auch mit eindeutigen Blickwinkeln, da das gemeinsame Speisen am Tisch Symbolkraft besitzt.

 

Namentlich wird die abgelegene griechische Insel nicht genannt, besitzt im Grunde aber nur das riesige Anwesen im mediterranen Look und ist stets in strahlenden Sonnenschein getaucht. Gefilmt mit äußert scharfen Bildern (es lassen sich viele Details erkennen, wie etwa Falten im Gesicht der Figuren) und dank ausgeprägter Farbsättigung (bsp. mehrere deutlich erkennbare Grüntöne der einzelnen Baumarten) stellt sich "A Pure Place" als besonderes Genrekino heraus, das auf der Kinoleinwand sicher seine magische Wirkung entfallten wird. Nimmt man Optik, Kostüme, Setting sowie die ruhige aber klare Erwählweise zusammen kommt einem sofort in den Sinn, hier einen Hybriden aus "Midsommar" und "A Cure for Wellness" vor sich hat, der zudem nordische und griechische Gottheiten mit einbringt und entsprechend glorifiziert. Dies unterstreichen einige Szenen mit entsprechenden Erscheinungen, Lichtern oder dem Zeigen göttlicher Macht.

 

Ganz verzichten kann Nikas Chryssos auf altbekannte aber sich stets wiederholende Kernpunkte einer Sekte nicht. Auch hier steht der Anführer über allen, es gibt brutale Strafen, Drogen spielen eine Rolle, klare Hierachien sind erkennbar, Frauen buhlen um den Anführer oder schlicht und ergreifend Sex; Quasi alles was wir unter der Definition "Sekte" verstehen findet seinen Platz, stets kompromisslos und mitunter schockierend. Dabei ist die Kamera zu jeder Zeit recht nah an den Figuren/dem Geschehen und lässt dem Zuschauer keine Wahl sich auf andere Fixpunkte im Bild zu konzentrieren. Dabei spielt auch eine gewisse Naivität der Gefolgschaft von Tust eine Rolle, die blindlings und ohne großes Nachfragen in den Tod gehen während er gar nicht daran denkt es seinen "Jüngern" gleichzutun. Ein weiteres, erschreckendes Merkmal von Sekten, dass Chryssos gnadenlos mit Bildern auf die Leinwand bringt. Somit regt die Story seines Films auch zum Nachdenken bzw. Umdenken an.

 

Trotz offensichtlicher Thematik kristallisiert sich recht schnell heraus, das "A Pure Place" im Kern ein Geschwisterdrama darstellt und davon handelt wie Tust und die Sekte Paul von Irina trennen will, egal mit welchen Mitteln. Da die 14-jährige Teenagerin (wohl auch wegen der Hormone) gerne im Mittelpunkt stehen möchte, ist Sie bereit dem Wahnsinn Tür und Angel zu öffnen und lässt sich von der Ideologie begeistern, verliebt sich in Siegfried und genießt die neue Aufmerksamkeit. Dass Irina sich dabei immer weiter von Ihrem Bruder entfernt verkennt das Mädchen. Gerade wie sich das Geschehen entwickelt ist ein Beleg für das herausragende Schauspiel der beiden Hauptdarsteller, denen man die familiäre Herkunft/Vergangenheit in jedem Moment abnimmt. Ausdrucksstark, charismatisch und dennoch mit der nötigen Portion Kindlichkeit strahlen Greta Bohacek und Claude Heinrich eine angenehm starke Präsenz aus, welche von Sam Louwyck als Sektenführer Tust mit ebenfalls starker Leistung einen fiesen Widersacher bekommt, der sich gottgleich sieht und unverwundbar fühlt. Die 3 Protagonisten harmonieren dabei so gut miteinader, das sich eine eigene Dynamik entwickelt, die einen überraschenden aber gelungenen Höhepunkt findet.

 

Musikalisch bietet das Drama eine vielschichtige Mischung verschiedenster Genres und Melodien, welche von mysteriösen Sounds bishin zu elektronischer Musik im Stil der 80er Jahre reicht. Zumeist erfüllt der Soundtrack eine begleitende Funktion und dient als gute Untermalung des Geschehens.

Neben den vielen positiven Punkten bleiben als Kritikpunkte festzuhalten, dass es der Thematik im Gesamten etwas an Tiefgang fehlt und Chryssos zu sehr auf bekannte Fakten setzt und dabei nur an der Oberfläche kratzt. Zudem hätten die 3 Hauptfiguren noch weiter ausgearbeitet gehört, Zusammenhänge erläutert und Infos zur Vergangenheit der Kinder angeschnitten werden müssen. 15-20 Minuten mehr Lauflänge und die genannten Punkte wären besser dagestanden.

 

Gesehen habe ich "A Pure Place" im Rahmen eines Sichtungslink

 

Fazit: Regisseur Nikas Chryssos liefert mit klaren, hellen und farblich eindeutigen Bildern einen kleinen Einblick in eine Welt absoluter Reinheit und Folgsamkeit. Den sich immer weiter aufreißenden Abgrund der Selbstzerstörung hätte man aber mit etwas mehr Spielzeit besser ausarbeiten können, während besonders die beiden Jungdarsteller und Fust-Akteuer Louwyck schauspielerisch überzeugen können.

 

Bewertung:

Genre: 7 von 10 Punkten

Gesamt; 7 von 10 Punkten

 

 

A la Carte! - Freiheit geht durch den Magen (Komödie/Drama/Historie)

 

Kulinarisch angehauchte Filme haben stets auch folgende Message: Liebe geht durch den Magen.

 

Frankreich, 18. Jahrhundert: Das Prestige eines Adelshauses hängt vor allem von der Qualität seiner Tafel ab. Zu Beginn der Französischen Revolution ist die Gastronomie noch ein Vorrecht der Aristokraten. Als der talentierte Koch Manceron (Grégory Gadebois) vom Herzog von Chamfort (Benjamin Lavernhe) entlassen wird, verliert er die Lust am Kochen. Zurück in seinem Landhaus bringt ihn die Begegnung mit der geheimnisvollen Louise (Isabelle Carré) wieder auf die Beine. Während sie beide Rachegelüste gegen den Herzog hegen, beschließen sie, das allererste Restaurant Frankreichs zu gründen..

 

Letztes Jahr kam mit dem finnischen "Master Cheng in Pohjanjoki" bereits ein sehr ansehnlicher Film über gutes Essen in die Kinos und konnte trotz Corona sechsstellige Besucherzahlen schreiben und mich zudem in der Sneak Preview begeistern. Nun schreiben wir Oktober 2021, es ist wieder die Sneak Preview und erneut gibts auf der Kinoleinwand ein kulinarisches Spektakel zu bestaunen. Diesmal aus Frankreich (schon wieder :D ) und im historischen Gewand. Regisseur und Drehbuchautor Eric Besnard entführt uns ins 18. Jahrhundert nach Frankreich zur Zeit der Revolution. Schon mit der Einstiegsszene wird klar das Besnard das Thema voll trifft und der Zuschauer bestaunen darf wie ein augenscheinlich äußert leidenschaftlicher Koch seinem Herrn mitsamt der Entourage ein opulentes Menü auftischt und dafür kritisiert wird das er Kartoffeln verwendet hat. Sofort wird deutlich wie herablassend, arrogant und überheblich die Herrscher zur damaligen Zeit waren, weshalb "A la Carte" trotz Einordnung ins Genre der Komödien ein authentisches Bild vermitteln möchte. Neben der klaren und eindeutigen Figurenzeichnung (neben dem Adel auch Vertreter der kath. Kirche) belegen dies auch Make-up (gefühlt hat jede Figur kiloweise Puder im Gesicht), Kostüme und vorallem die (verrückt anmutenden) Perücken sowie die Innenausstattung mit denen der Historienfilm überzeugen kann.

 

Das sich das Geschehen in knapp 2 Stunden ausschließlich auf nur zwei Schauplätzen ereignet ist dabei gar nicht mal tragisch, bekommt das Ganze doch eine ansprechende Note eines Kammerspiels welches sich zunehmend ums Essen dreht. Trotz der liebevollen und detailreichen Ausstattung sollte der Zuschauer keinen politisch sowie historisch korrekten Film erwarten, der zudem keinen wahren Hintergrund besitzt. Es handelt sich hierbei definitiv um einen Feel-Good-Movie mit angenehmen Unterhaltungswert und dem Willen das jeder hungrig den Kinosaal verlässt. Viele ziemlich leckere Gerichte, vom knusprigen Brot bis zum gegrillten Huhn, lassen wohl jedem Nicht-Veganer das Wasser in Mund zusammen laufen, zumal es regelmäßig noch das ein oder andere Wort während der Zubereitung/beim Servieren fällt, womit auf Details eingegangen wird. Ganz nebenbei hält der Film noch ein paar Eastereggs bereit, wie bsp. die Erfindung der Pommes

Damit es nebenher noch etwas zu Erzählen gibt haben die Drehbuchautoren Nicolas Boukhrief und Besnard noch eine, zugegeben wenig spannende, Geschichte entwickelt die aus Elementen von Drama, Komödie sowie Romanze besteht und mithilfe einiger Twists ausgeschmückt wird. Am Ende schließt sich der Kreis und Manceron erhält dank seiner kulinarischen Kreationen seine Freiheit und die Möglichkeit sein eigenes Ding zu machen.

 

Leider verzetteln sich die Autorin mit zunehmender Spieldauer mit jenen (vorhersehbaren) Wendungen weshalb der Filmfluss zu leiden beginnt. Sicherlich hätten 2-3 unnötige Schwenks weniger für ein runderes Gesamtbild gesorgt. Und sind wir mal ehrlich: als Louise die Bildfläche betritt ist wohl jedem klar wie alles ausgehen wird und man wartet quasi nur darauf dass das Eis bricht. Da wir gerade bei den Filmfiguren sind muss hevorgehoben werden das diese allesamt nicht besonders tiefgründig und charakterlich spannend geschrieben sind, womit sich etliche Klischees problemlos bedienen lassen. Auf der einen Seite der hochnässige Adel ohne Bezug zum Volk, dort der trotz Kündigung weiterhin unterwürfige Koch oder ein intelligenter Sohn mit Visionen einer modernen Menschheit. Mittendrin die mysteriöse Frau welche ein düsteres Geheimnis besitzt und ein alter Säufer. Mehr klassische Vorurteile ging wohl nicht, was aber nicht darüber hinweg täuschen soll dass der gesamte Cast einen mehr als guten Job macht und phasenweise eine herausragende Harmonie untereinander besitzen.

 

Es macht einfach Spaß dem mürrischen, etwas eitlen und festgefahrenen Koch Manceron zuzusehen wie er zunehmend aus sich herauskommt, sich von alten Vorstellungen löst und sein Selbstwertgefühl steigern kann. Als weiblichen und mindestens ebenbürtigen Gegenpart darf Louise zeigen, was eine starke aber innerlich verletzte Frau auszeichnet, die unbedingten Willen besitzt und aus alten Rollenbildern ausbrechen möchte.

Leider geht neben diesen beiden präsenten Hauptfiguren der junge Benjamin etwas unter, der für eine moderne, aufgeschlossene und mutige Jugend steht, die volle Fahrt voraus in eine bessere Zukunft nimmt.

Hier hätte ich mir auf jeden Fall mehr Spielzeit und Präsenz gewünscht, dafür weniger vom überheblichen und arroganten Adel bzw. Möchtegernherrschern.

Aber wie gesagt, die Autoren beschränken sich auf leicht zu verstehende und einordenbare Charaktere, dank derer jeder Zuschauer eine glasklare Position beziehen kann.

 

Rein technisch gesehen darf sich jeder erstaunt darüber zeigen welch hohe Qualität die Bilder besitzen, denen es weder an Farbsättigung noch Schärfe fehlt. Für einen französischen Arthausfilm ist dies definitiv nicht selbstverständlich und gelingt leider viel zu selten. Daneben kommen sämtliche Kontrase perfekt zur Geltung und trennen die einzelnen Schichten farblich in die jeweiligen Klassen. Während es im Schloss sehr edel, glänzend und sauber zur Sache geht, ist im Landhaus vieles in dunklen sowie kalten Tönen gehalten und entsprechend schlicht gestaltet. Die Betten bestehen aus einfachen Holzplanken welche mit Stroh gefüllt sind, es gibt nur wenige Räume und eine richtige Küche ist auch nicht vorhanden. Immer wieder mal regnet es und die wenig einladende Herbst-/Winterzeit lässt sich selbst im Kinosessel spüren. Hingegen lassen der Frühling mit kräftigen Sonnenstrahlen Sommergefühle aufkommen dank derer man auch wieder Lust auf einen Restaurantbesuch mit Biergartenatmosphäre bekommt.

Musikalisch gesehen erklingen erwartbare Melodien, welche man mit dem 18. Jahrhundert assoziiert. Diese haben eine begleitende Funktion und unterstützen jeweils die vorherrschende Stimmung.

 

"A la Carte! - Freiheit geht durch den Magen" läuft ab dem 25.11.2021 in den deutschen Kinos

 

Fazit: Auch wenn einiges durch die rosa Brille betrachtet wird und es den Figuren an Tiefe fehlt ist diese kulinarische Tragikomödie durchweg ein Feel-Good-Movie im historischen Look und Sprache. 

 

Bewertung:

Genre: 7.5 von 10 Punkten

Gesamt: 7.5 von 10 Punkten

 

Ghostbusters: Legacy (Action/Abenteuer)

 

Da sie mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen hat, zieht die alleinerziehende Mutter Callie (Carrie Coon) mit ihren Kindern Trevor (Finn Wolfhard) und Phoebe (Mckenna Grace) auf das heruntergekommene Anwesen ihres verstorbenen Vaters in ein kleines Provinznest in Oklahoma. Der anfangs total genervte Trevor versucht schnellstmöglich Kontakt zu den Teenagern auf den Land zu finden, während die 12-jährige Phoebe in den alten Hinterlassenschaften ihres Großvaters wühlt und die spannende Entdeckung einiger merkwürdiger Utensilien macht - Waffen und Gerätschaften, die wie ihr Lehrer Mr. Grooberson (Paul Rudd) meint darauf deuten, dass ihr Opa einst Mitglied der legendären, aber weitgehend vergessenen „Ghostbusters“ war. Während Trevor und Phoebe damit nach und nach gemeinsam beginnen, die Technik mit einigen neuen Klassenkameraden auszuprobieren, braut sich eine mystische Bedrohung unterhalb der verschlafenen Kleinstadt zusammen.

 

Nachdem der Versuch 2016 der Ghostbusters-Reihe neues Leben einzuhauchen gnadenlos gescheitert ist (ich selbst fand den Film schrecklich) macht man es 5 Jahre später um Welten besser. Nicht nur das die Macher wieder back to the Roots gehen und direkte Verweise zu den beiden Orginalen herstellen, nein es ist einfach das Feeling und natürlich der kurze Auftritt der Orginalbesetzung mit der "Ghostbusters: Afterlife" (Orginaltitel) das Kinopublikum begeistern. Es wird massig Fanservice geboten, sämtliche alten Gerätschaften tauchen auf (inkl. dem weltberühmten Autos) und die Verweise auf die ersten beiden Filme sind unübersehbar. Selbst so kleine Details wie ein gewisser Riegel im Handschuhfach oder kurze Einblendungen von Filmszenen zeigen wie viele Gedanken sich gemacht wurden um ein erneutes Abschmieren zu verhindern.

 

Dabei fängt "Ghostbusters: Afterlife" recht ruhig an und nimmt sich viel Zeit um seine neuen Figuren, die Enkelkinder von Spengler, einzuführen und zu charakterisieren. Damit haben sowohl Phoebe und Trevor als auch deren Mutter Callie zum Zeitpunkt der Geistererscheinungen genau jenes Profil, mit dem sich arbeiten lässt. Kein Charakter ist dem Publikum egal und die Zusammenhänge erscheinen klar sowie logisch und nachvollziehbar. Gewissermaßen liegen sämtliche Sympathien bei Spenglers Nachfahren, während die weiteren relevanten Figuren anders als die Familie in Ihren Anlagen fast schon extrem wirken. Phoebe's Freund Podcast ist ein aufgedrehter, verrückter Junge mit einer Leidenschaft für Podcasts während Lehrer Grooberson einen Fanatiker in Sachen Wissenschaft und begeisterten Ghostbusters-Fan darstellt. Trevor's Freundin Lucky kann man in diesem Zusammenhang noch als normale Jugendliche bezeichnen, die einfach nur raus will aus Summerville.

 

Besonders Podcast's Präsenz und Aufdringlichkeit nervt an der ein oder anderen Stelle doch sehr, da diese überdrehte Rolle innerhalb den vorhandenen Gegebenheiten etwas zu viel wird. Auf der anderen Seite könnte der Zuschauer meinen das der Sommer-Lehrer ein absoluter Tollpatsch ohne Ernsthaftigkeit ist, was punktuell ebenfalls ein wenig stört.

Dies macht jedoch eine spannende, hochklassige und nostalgisch angehauchte Handlung mehr als wett und sorgt dafür, dass nicht nur die alten Fans daran Freude finden, sondern auch neue Liebhaber in die Welt der Geisterjäger eingeführt werden.

Zwar sieht man dem Film sein Produktionsjahr in jeder Sekunde an, doch aufgrund der zahlreichen Verweise kommt immer wieder ein berauschendes 80er Feeling auf. Nicht zuletzt aufgrund der vielen heute antik wirkenden Gegenstände im Haus, die jeder Fan bestens aus den ersten beiden Filmen in Erinnerung hat.

 

Der Geisterscanner, die Geisterfallen, sämtliche Energiegewehre und natürlich der Cadillac mit seinen unzähligen Funktionen: Alles scheint so, als hätte Regisseur Jason Reitman die Requisiten der ersten beide Filme aus der Mottenkiste geholt und ans Filmset befördert. Schließlich haben alle Gegenstände Abnutzungserscheinungen und sind staubig bzw. eingerostet, wie etwa das Ghostbustersmobil. Ansonsten bestimmt das abgelegene Kaff Summerville als Kullisse das Geschehen, um immer wieder mal mit Szenen auf der  äuserlich marode erscheinenden Farm eine tolle Abwechslung zu finden. Daneben spielt auch eine alte Miene im nahegelegenen Berg eine wichtige Rolle, die aus Spoilergründen aber geheim bleibt. Besondere Detailverliebtheit zeigen Reitman und sein Team im Farmhaus und der unterirdischen Werkstatt, die technisch voll in den 80er Jahren stecken geblieben ist.

 

Insgesamt macht "Ghostbusters:Aferlife" optisch einen herausragenden Eindruck und überzeugt mit ebenso tollen Effekten, die an die orginalen Blitze und Geister angelehnt sind. Wieso auch die Fehler von 2016 wiederholen wenn man doch weiß worauf die Fans stehen. Mal davon abgesehen das der Humor des Films von vor 5 Jahren einfach nur unpassend war, ist es 2021 wieder auf das richtige Maß gebracht worden und die Witze funktionieren auch allesamt gut. Auch beim Thema Farbsättigung/Farbgestalltung steigert man sich gewaltig und findet tolle Kontraste sowie Abstufungen. Im Mittelteil übernimmt sich der neue Ghostbuster aber etwas mit seinem CGI-Gewitter und er driftet mir etwas zu sehr in moderne Richtungen ab. Soundtechnisch verspricht vorallem ein Dolby Atmos Saal ein wahnsinnig geiles Filmerlebnis, ist der Zuschauer doch klanglich mitten drin im Geschehen. Absolutes Highlight ist hier aber das weltbekannte Ghostbusters-Theme im Abspann, dass jedoch nicht komplett abgespielt wird, was ich extrem schade fand.

 

Auf Seiten der Darsteller finden sich nur Leute, die hier auch reinpassen und Ihren Figuren jeweils eine wunderbare Ausstrahlung verleihen. Nicht nur das Phoebe und Co. vom Drehbuch schon viel Charaktertiefe erhalten beeindruckt, sondern vorallem was daraus gemacht wurde. Sämtliche Ansätze der Autoren der Reihe eine neue Generation Geisterjäger zu verpassen sind deutlich erkennbar und legen offen wie sehr man darauf bedacht war auch hier einen Kompromis zwischen 80er und 2020er Jahre zu finden. Bis auf die oben genannten Ausreißer machen alle Figuren Spaß und den Darstellern sieht man die eingebrachte Leidenschaft und Hingabe auch an. Das zum großen Finale die alten Ghostbusters noch in Erscheinung treten hat nicht nur nostalgischen Faktor sondern ist auch das letzte Puzzlestück wodurch "Ghostbusters:Afterlife" die perfekte Symbiose aus den Altem und Neuen wird. Und es ist allgemein einfach ein Augenschmaus fast das gesamte Team von damals wieder zusammen und in Uniform auf der großen Kinoleinwand zu sehen.

 

Fazit: Nach dem Desaster von 2016 kommt nun endlich eine würdige Fortsetzung, die Nostalgie mit Moderne verbindet und mit einem Auftritt der Orginalbesetzung besten Fanservice bieten kann.

 

Bewertung:

Genre: 8 von 10 Punkten

Gesamt: 8 von 10 Punkten

 

Resident Evil: Welcome to Raccoon City (Horror/Action)

 

1998, Raccoon City: Einst die florierende Heimat des Pharmariesen Umbrella, hat sich die Stadt im Mittleren Westen stark verändert. Der Exodus des Unternehmens hat den Ort regelrecht in den Tod gezwungen und in eine Geisterstadt verwandelt. Die größte Gefahr steht Raccoon City allerdings noch bevor, breitet sich doch eine merkwürdige Seuche aus, die die Bewohnnerinnen und Bewohner in aggressive Monster verwandelt. Die junge Claire Redfield (Kaya Scodelario) versucht, den seltsamen Vorkommnissen auf den Grund zu gehen und vor allem Umbrellas Rolle darin aufzudecken. Zur selben Zeit untersucht ihr Polizisten-Bruder Chris (Robbie Amell) in einem alten Anwesen vor den Toren der Stadt mit seiner Einheit das Verschwinden zweier Kollegen, das ebenfalls mit den Schrecken in Raccoon City verbunden ist...

 

Zwischen 2002 und 2016, in insgesamt 6 Filmen, kämpfte Milla Jovovich alias Alice gegen Umbrella und deren T-Virus. Da diese "Resident Evil"-Filmreihe mit den Survival-Videospielen faktisch nichts gemeinsam hatte gelten die Filme innerhalb der Game-Community als Schande und werden verachtet. An den weltweiten Kinokassen konnten die 6 Produktionen von Drehbuchautor (bei 4 Filmen hat er zudem Regie geführt) Paul W. S. Anderson, übrigens der Ehemann von Milla Jovovich, zusammen über 1.2 Mrd Dollar (bei einem Gesamtbudget von knapp 290 Mio Dollar) einspielen udn zählen damit zu den erfolgreichsten Videospielverfilmungen der Welt. Anderson ist jetzt noch als Produzent bei der Neuauflage tätig, bei der ein komplett neuer Cast angeheuert wurde. Zudem will man jetzt deutlich näher an den Games bleiben und zu den Horrorwurzeln zurückkehren.

 

Inwieweit dies zutrifft kann ich an dieser Stelle nicht sagen, da die "Resident Evil" Games nie auf meiner Spielliste standen. Als großer Fan der Orginal-Filmreihe bleibt nur diese Vergleichsgrundlage, wobei an dieser Stelle gesagt sei, dass ein Vergleich durchaus nicht angebracht ist, außer man kennt wirklich nur die Filme. Da Anderson seinerzeit ja auf einige wenige Kernpunkte der Spiele zurückgegriffen hat werden dem Zuschauer im Laufe der Handlung von "Resident Evil: Welcome to Raccoon City" einige bekannte Namen auffallen, welche man aus der Anderson-Reihe kennt. Auch optisch sind die Überschneidungen fast schon gespenstisch groß. Ob Zufall oder nicht kann entzieht sich meiner Kenntnis ebenso wie ob die Figuren einfach im Spiel und aus Gründen der Authenzität nun im Film entsprechend aussehen.

 

Schon recht schnell zeigt der Film von Johannes Roberts das es sich hier um ein durchweg düsteres und horrorlastiges Werk handelt wird, da schon innerhalb der ersten Minuten eine Infizierte nach einer kurzen aber gelungenen Einleitungssequenz auftaucht und zeigt, das diese nicht so leicht auszuschalten sind. Mit Claire bekommt das Publikum zudem die neue Hauptfigur präsentiert, welche auf sich auf den Weg zurück in Ihre Heimatstadt macht. Vom strahlenden Raccoon City ist nichts mehr übrig und die Stadt gleicht einer heruntergekommenen Bude mitsamt strömenden Regen. Hierbei haben sich die Verantwortlichen definitiv Mühe gegeben, wie auch bei der später wichtigen Villa am Stadtrand. Im Vergleich zu den alten Filmen liegt der Fokus deutlicher bei den Kullissen und deren Einbindung ins Geschehen. Zudem soll die gesamte Bevölkerung eine gewichtigere Rolle spielen, zumal es ja auch um den Beginn der Apokalypse handelt.

 

Aus anfänglich 3 parallel verlaufenden Handlungssträngen werden Mitte der ersten Filmhäfte 2 um zu Beginn des finalen Abschnitts endlich zusammen zu laufen wodurch alle Überlebenden in einer Gruppe vereint werden. Besonders die ersten knapp 50 Minuten sorgen für den Aufbau einer düsteren, spannenden und brennzligen Atmosphäre inkl. dem Mysterium Umbrella. Claire und Co. verstehen erst nach und nach was da auf sie zukommt während sich das Publikum von einigen Figuren verabschieden muss. Keine Sorge, der ein oder andere darf als Monster nochmal in Erscheinung treten um dann final getötet zu werden. Hierbei machen die Untoten den Eindruck als wären diese schnell mal von "The Walking Dead" rüber gewandert, da sich das Verhalten, die Optik und Gier nach Menschenfleisch doch sehr ähneln. Und anscheinend liegt es an der Dosis des T-Virus (oder G-Virus) inwieweit eine Verwandlung statt findet. Wie schon bei den Setbauten überzeugt hier der Hang zu Details und eine gewisse Bescheidenheit im Look der Infizierten.

 

Leider kann "Resident Evil: Welcome to Raccoon City" dieses Level nicht bis zum Ende halten und driftet zu Beginn der letzten Minuten immer mehr in den Trash und damit Richtung alter Filme ab, was auch deshalb schade ist weil das zuvor wirklich gut aufgebaute Gerüst wie Raccoon City bebt und teilweise einstürzt. Weiterhin gelingt es nur sehr bruchstückhaft die beiden relevanten Viren (ja es gibt noch andere Erreger als Corona) auch nur ansatzweise logisch und verständlich in die Handlung einzubauen bzw. einzuführen. Wie schon bei Claire und Ihrem Bruder wäre ein kurzer Rückblick hilfreich gewesen und das Publikum muss die Existenz nicht so kommentarlos hinnehmen. In diesem Part wirkt der Action-Horror augenscheinlich plan-sowie ideenlos und man versucht irgendwie den verlorenen Faden wieder zu finden. Das es sich hierbei um den Start einer ganzen Reihe von Resident Evil Filmen handelt beweisen neben der Post Credit Szene auch einige angedeutete Handlungsstränge, welche nur kurz angeschnitten und womöglich in einer Fortsetzung vertieft werden sollen.

 

Meistens kann die Kameraarbeit des Belgiers Maxime Alexandre mit typischen Horroreinstellungen (sowie entsprechender Lichtsetzung und diverser anderer Stilmittel) für düstere Bilder sorgen, hat aber in regelmäßigen Abständen auch mit hektischen Momenten und einer wackeligen Kamera zu kämpfen. Hinzu kommen mitunter krasse Actionszenen, welche derat zerschnitten sind dass das Zusehen weh tun kann. Zwar wird im Laufe der Story erläutert was um 6 Uhr morgens des 01. Oktobers 1998 passieren soll, aber das ständige Einblenden der aktuellen Uhrzeit in Form einer Art Chronologie der Nacht stört ungemein und würgt zuvor starke Momente gnadenlos ab. Meistens als Übergang von einem Handlungsstrang zum nächsten praktiziert, misslingt dies spätestens nach dem dritten mal und strapaziert die Nerven des Publikums. Zuminderst habe ich und einige andere im Saal dies so empfunden. Vom Handlungstempo her wählt Roberts einen höheren Gang ohne dabei durch die Handlung zu rasen. Punktuell gibts mal eine kleine Verschnaufpause, die selten länger als 5 Minuten ausfallen und somit Langeweile vorbeugen. Sämtliche Explosionen sowie Effekte sind soweit in Ordnung und vermitteln einen handgemachten Eindruck (Effekte).

 

Begleitet werden die Bilder entweder von genretypischer Horrormusik oder einigen Hits der 90er Jahre, welche an bestimmten Stellen deutlich im Vordergrund stehen. An ein, zwei Stellen aber zu dominant machen die Lieder ansonsten genau das wofür sie eingebracht worden sind.

Mit komplett neuem Cast (und fast komplett neuen Charakteren) geht Regisseur Roberts die Sache an, wobei seine Hauptfigur Claire, gespielt von Kaya Scodelario ("Crawl", "Fluch der Karibik"), den ausgereiftesten Backround erhält. Ob Sie genauso prägend wird wie einst Jovovich wird die Zeit zeigen, aber die 29-jährige Britin macht Ihren Job soweit ganz solide. Wie Alice damals besitzt Claire nur die notwendigsten Eigenschaften und Scodelario ist definitiv bemüht hier Ihren Stempel draufzusetzen. Natürlich besteht noch Potential nach oben und es wird sich zeigen ob die Reihe auf eine einzelne Protagonistin oder eine Gruppe setzen wird.

 

Schließlich überlebt Claire nicht als einzige wodurch schon während der Handlung erkennbar ist, warum bestimmte Figuren, u.a. Jill (gespielt von Hannah John-Kamen) oder Chris (Robbie Amell) relativ viel Spielzeit bekommen. Kann man als Zuschauer eigentlich zu allen Charakteren eine gewisse Beziehung aufbauen ist vorallem Leon (Avan Jogie) der große Fremdkörper innerhalb der Figuren. Seine Rolle als Schönling in Uniform nervt mit der Zeit. Hinzu kommt noch seine dämliche Art und die fehlende Autorität als Polizist. Es entsteht der Eindruck das jeder tollpatschige Stümper ein Officer werden kann. Immerhin gibts einen Moment der Ehrlichkeit als Leon von sich aus sagt er wisse selbst nicht warum er Polizist geworden ist. Hätte er im Laufe der 107 Minuten eine einigermaßen glaubhafte Wandlung durchlaufen wäre es ok gewesen, so aber steht der Polizist absolut für den Trash-Faktor von "Resident Evil: Welcome to Raccoon City"

 

Ob das nun der Film ist den sich die Fans immer gewünscht haben werden die Besucherzahlen und das weltweite Einspielergebnis zeigen, was aber aufgrund der Pandemie wohl schwer einzuschätzen sein wird; vorallem in Ländern wo es Lockdowns und massive Beschränkungen bei Kinobesuchen gibt. Ich für meinen Teil hoffe das Beste und würde euch raten dem Neustart wie schon bei "Wrong Turn" eine Chance zu geben.

 

Fazit: Trotz kleinerer Schwächen und einer (noch) nicht prägenden Hauptfigur ist der Neustart der "Resident Evil"- Reihe durchaus gelungen und geht mit Abtrichen in die von vielen gewünschte Horrorrichtung der Games.

 

Bewertung:

Genre: 5.5 von 10 Punkten

Gesamt: 7 von 10 Punkten